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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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Sternbild der Zwillinge verborgen war. Er dachte darüber nach, wie er in den vergangenen Monaten im Geheimen agiert hatte. Nach gründlichem Abwägen des Für und Wider war er davon überzeugt gewesen, dass die außergewöhnliche Konstellation, die durch den Niedergang Mazarins, die Jugend Ludwigs XIV. und das Talent Fouquets entstanden war, den Zielen der Bruderschaft zum Durchbruch verhelfen würde. Wo lag dann sein Fehler? Was hatte er übersehen oder falsch beurteilt, dass die einmalige Gelegenheit mit einem totalen Misserfolg endete? Er schaffte es nicht, seinen dumpfen Zorn niederzukämpfen, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Das Schloss von Vaux, die Türme, die so harmonische Fassade, die schmiedeeisernen Gitter, der helle Stein, die Gärten und die Kuppel, all das kam ihm wie ein monströser Katafalk vor, ein Trauergerüst für einen Sarg, nur errichtet, um in den kommenden Jahrhunderten an ihren Misserfolg zu erinnern. Über Monate hinweg hatte er seine Augen und seine Hand in den Dienst dieses prächtigen Bauwerks gestellt, sich die Ausstrahlung dieses Gemeinschaftshauses ausgemalt, der Stadt, die dazu bestimmt war, sich um den Palast herum auszubreiten – im Herzen der neuen Hauptstadt eines Königreichs, in dem die Menschen gleich sein würden, eines Königreichs, das endlich der göttlichen Lehre entsprach. Über Monate hinweg hatte er beobachtet, wie die Leidenschaft des Oberintendanten für Vaux mehr und mehr gewachsen war. Diese Leidenschaft, er hatte sie dirigiert, in Szene gesetzt, um Fouquet zu helfen. Und es war doch wohl nicht Colbert mit seinen jämmerlichen Intrigen, der dies alles ruiniert hatte! Nein, sicher nicht, versuchte er sich einzureden.
    Im Übrigen spielt es keine Rolle, dachte er.
    Ein trauriges Lächeln tauchte seine Gesichtszüge für einen Moment in einen fiebrigen Glanz.
    »Wie dem auch sei, der Preis, den Colbert zu zahlen hat, steht bereits fest. Man verletzt einen Menschen dort, wo er am empfindlichsten ist.«
     
    Er schritt über die Terrasse. Die Spätsommernacht war mild. Kein Windhauch kräuselte die Oberfläche der Wasserbecken, die wie dunkle Spiegel wirkten. D’Orbay sah, wie sein Traum darin versank. Vielleicht war die Stunde doch noch nicht gekommen, dachte er. Vergeblich kämpfte sein Zorn gegen seine Mutlosigkeit an. Als er den Kopf hob, fragte er sich, wo der Kodex sich wohl gerade befand.
    »Gabriel«, flüsterte er.
    Allein dieser Name tröstete ihn ein bisschen.
    Nun stand er auf der großen Schlossterrasse. Er schloss die Augen und zwang seine zitternden Hände zur Ruhe.
    »Gute Reise, mein Junge. Und viel Glück.«
    Dahinten schliefen die Kinder   … Er kniff die Augen mit aller Kraft zusammen, um das Bild zu vertreiben, das sich in seinem Kopf festsetzen wollte. Es ist besser so, dachte er, ja, es ist besser so, das ist ihre Chance   … Er spürte nur die Kühle auf den Lippen und einen metallischen Geschmack.
    Die Flamme zog einen hellen Streifen durch die Dunkelheit, wie eine kleine Sonne. Der Knall erfüllte die Stille der Nacht. Sein Echo hallte noch lange hinter den Baumgruppen wider. Im Schatten der Kuppel lag der leblose Körper am Boden. Den hölzernen Pistolengriff hielt er noch immer in der Hand.

Paris, Rue des Lions Saint-Paul
    Mittwoch, 7.   September, Mitternacht
    Kaum war er bei sich zu Hause angekommen, hatte Gabriel einen Brief an Louise geschrieben und sie gebeten zu kommen. Er hatte dem Kutscher die Botschaft mit dem Befehl übergeben, »nur mit Mademoiselle de La Vallière« zurückzukehren. Schon seit einigen Wochen hatte er sein altes Zuhause nicht mehr betreten. Es kam ihm vor, als wäre seither eine Ewigkeit vergangen. Er war nicht mehr der Schauspiellehrling, der davon träumte, unter dem Applaus des Publikums lange Monologe zu deklamieren. Er war auch nicht mehr der linkische junge Mann, der sich in der Stadt zurechtfinden musste. Er war zum Statisten in der grausamen Komödie um die Macht geworden, die die Schicksale einzelner Menschen im Namen der Staatsräson zermalmte. Er hatte zuerst das übergroße Glück und dann den schrecklichen Schmerz kennengelernt, als er seinen Vater wiedergefunden und dann für immer verloren hatte. Er war in eine Geheimgesellschaft eingetreten und Beschützer eines mysteriösen Geheimnisses geworden, dessen Inhalt sich ihm noch immer nicht ganz erschlossen hatte. Gabriel sagte sich, dass er alle diese Bewährungsproben allein bestanden hatte. Er fühlte eine neue Kraft in sich und

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