1661
schließlich ins Gesicht sah und merkte, dass sie ihn hinreißend anlächelte.
»De Pon…? Kenn ich nicht. Sucht ihn besser beim Hôtel Saint-Paul, wo der Adel wohnt. In dieser Straße, Prinzessin, findet Ihr Steinmetze, Zimmerleute und Tischler, aber bestimmt keinen Pont-ich-weiß-nicht-was!«
»Aber ich bin mir sicher, dass die Adresse stimmt«, entgegnete die junge Dame mit sanfter Stimme. »Es ist sehr wichtig für mich. Kennst du wirklich keinen Gabriel de Pontbriand?«
»Ach … sagt das doch gleich!«, antwortete der Junge, glücklich darüber, das Rätsel gelöst zu haben. »Jeder kennt hier Gabriel, den Schauspieler aus der Truppe des großen Molière. Um diese Zeit trefft Ihr ihn sicher an. Seine Kammer befindetsich gleich hier im Haus unter dem Dach. Steigt die Treppe bis ganz nach oben, Ihr könnt es gar nicht verfehlen, es gibt nur eine Tür.«
»Vielen Dank, mein Junge, du bist sehr charmant«, sagte die junge Dame und ging an ihm vorbei ins Haus, während der Junge ihr sprachlos nachsah und sich nicht genug darüber wundern konnte, dass er auf diese Weise den adeligen Familiennamen seines Freundes Gabriel erfahren hatte.
Zur gleichen Zeit legte dieser gerade das letzte der Schriftstücke, die er der granatfarbenen Ledermappe entnommen hatte, zurück auf den dunklen Holztisch. Eigentlich hatte er sie noch am Abend vorher in Augenschein nehmen wollen, doch nach all der Aufregung war er dafür viel zu müde gewesen. Ratlos starrte er nun vor sich hin. Es handelte sich augenscheinlich um verschlüsselte, höchst rätselhafte Texte. Als er die Mappe umdrehte, um sich das in das Ziegenleder eingeprägte Wappen noch einmal genau anzusehen, wurde ihm auf einmal ganz heiß, denn urplötzlich erkannte er es wieder: Vor sich hatte er Papiere, die ganz offensichtlich Frankreichs Erstem Minister, Kardinal Mazarin, gehörten! In welch ungeheuerliche Geschichte war er da bloß hineingeraten! Sprachlos inspizierte Gabriel noch einmal jedes einzelne Pergament, um auf irgendeinem etwas zu entdecken, was ihm weiterhalf. Aber das Einzige, womit er etwas anfangen konnte, war die Unterschrift, die unter jedes Blatt gesetzt war. Die Namen der Schreiber standen dort klar und deutlich zu lesen. Das ist sicher ein Täuschungsmanöver, dachte Molières junger Sekretär, damit will man wahrscheinlich einen Unbefugten in die Irre führen. Er griff nach dem nächsten Schriftstück – und wurde kreidebleich.
»M-m-mein Vater!«, stammelte er, als könnte die unglaubliche Entdeckung dadurch reeller werden.
Unten auf dem Schriftstück, das aus seiner zitternden Hand zu Boden fiel, hatte er die Unterschrift gelesen: »André de Pontbriand«.
Genau in diesem Moment klopfte jemand energisch an seine Tür. Hastig versteckte Gabriel die Dokumente unter seinem Bett und legte Molières neues Bühnenstück gut sichtbar mitten auf den Tisch. Er atmete einmal tief durch.
»Herein!«
Nachdem zwei weiße Hände die Kapuze zurückgeschlagen hatten, entlockte die Person, die im Türrahmen stand, Gabriel einen Ausruf des Verblüffung:
»Louise!«
»Beruhigt Euch, mein Freund, Ihr seid ja bleich wie der Tod«, antwortete Louise de La Vallière mit spöttischer Stimme, ganz entzückt über die Wirkung, die ihr Überraschungsbesuch offenkundig erzielt hatte.
»Louise! Louise de La Vallière! Was für eine Überraschung!«, rief Gabriel. Langsam kehrte Farbe in sein Gesicht zurück und damit das Bedürfnis, angesichts seiner so hübschen Freundin eine gute Figur zu machen. »Was macht Ihr in Paris? Und wie habt Ihr mich gefunden? Aber bleibt doch bitte nicht stehen. Kommt, setzt Euch hier in den Sessel«, sprudelte es aus ihm heraus, während er auf den bequemsten Sitz deutete, den er besaß.
Die Kammer war zwar bescheiden eingerichtet, aber von einer vernünftigen Größe. Und die verputzten Wände waren sauber. In einer Ecke stand eine eiserne Bettstatt, davor ein Tisch mit zwei Stühlen und an der Stirnseite ein Schrank. Das Mobiliar vervollständigte ein abgewetzter Samtsessel, dem ein Bein fehlte, weshalb Gabriel ihm kurzerhand einen Stapel alter Bücher untergelegt hatte. Mangels eines Regals waren seine unzähligen Bücher im ganzen Raum verstreut. Schon sieben Monate lebte Gabriel hier, seit er nach seiner Flucht aus Amboisenach Paris gekommen war. Von Natur aus Optimist und zudem mit einem entschlussfreudigen und unerschrockenen Charakter gesegnet, hatte er sich von einem Tag auf den anderen in dieser einfachen Kammer
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