1661
eingerichtet, deren Miete er von den mageren Einkünften aus seiner Arbeit bei Molière bezahlte. Glücklicherweise hatten ihm seine natürliche Fröhlichkeit und seine ansteckende Begeisterungsfähigkeit zu zahlreichen Freundschaften verholfen, gerade in diesem einfachen Viertel, wo er sehr gern lebte. Der ihm angeborene verführerische Charme hatte ihm überdies die Tür zu einer völlig neuen Welt geöffnet: zu den mit der Eroberung von Frauen verbundenen Freuden. Mit Leib und Seele Schauspieler, spielte er gern den Galan und liebte es, dieses Talent bei seinem momentan einzigen Publikum, den jungen Damen, auszuprobieren, deren Augen schon zu funkeln begannen, wenn sie ihn nur erblickten.
»Was glaubt Ihr, wie überrascht ich erst war, als ich Euch gestern Abend mit einer Schauspielerin von Monsieur Molières Truppe vor dem Palais-Royal entdeckte! Ich hatte ja keine Ahnung, dass Ihr jetzt in der Hauptstadt lebt, noch dazu in solch erbärmlichen Verhältnissen«, erklärte sie, während sie sich bekümmert in dem armseligen Zimmer umsah. »Und ich wusste ebenso wenig, dass Ihr so ritterlich und kämpferisch sein könnt«, fügte sie gleich darauf lachend hinzu.
Gabriel nahm ihr die spöttischen Worte nicht übel, freute er sich doch unheimlich über das unerwartete Wiedersehen: Louise de La Vallière, die schöne Louise, die er schon sein halbes Leben lang kannte … So oft waren sie miteinander über die Felder der Touraine gelaufen, zusammen mit all den jungen Leuten edler Abkunft aus Amboise. Noch immer ganz verwirrt musterte er ihre luxuriöse Garderobe, die schillernden Stoffe, aus denen ihr Kleid und das Cape gefertigt waren, das sie nachlässig über die Schultern geworfen hatte. Dennoch erkannteer ihren strahlenden Teint wieder, ihre dunklen Augen und den Schimmer, der auf ihre Haare fiel, wenn sie graziös den Kopf senkte. Wie er Louise so vor sich sah, war ihm plötzlich, als hätte er die geliebte Heimat und seine unbeschwerte Kindheit wiedergefunden.
»Heute Morgen war ich im Theater«, erzählte Louise, ohne seinen strahlenden Blick weiter zu beachten, »und habe mich nach Euch erkundigt. Es hat mich nicht mehr als ein Lächeln und ein paar Münzen gekostet, dass der gute Concierge mir erzählt hat, wo Ihr wohnt.
Et voilà,
hier bin ich. Aber jetzt schuldet Ihr mir auch einige Erklärungen. Warum die plötzliche Flucht letztes Jahr? Und warum versteckt Ihr Euch hier in diesem Loch, in dem nicht einmal ein Mönch hausen möchte? Warum verleugnet Ihr Eure Herkunft? Hier scheint man Euch einzig und allein unter dem Namen Gabriel zu kennen.«
Gabriel setzte sich seiner Freundin gegenüber und erzählte ihr in allen Einzelheiten, was in den vergangenen Monaten passiert war. Er antwortete auf alle ihre Fragen und verbarg ihr nichts. Er wiederum erfuhr, dass Louise seit Januar am Hof lebte und dank einer entfernten Verwandten inzwischen Gesellschaftsdame von Henrietta von England geworden war, die bald Philipp I. von Bourbon, den jüngeren Bruder des Königs, heiraten würde. Die Aufführung von ›Don Garcia von Navarra‹ hatte ihr den ersten Auftritt in der Öffentlichkeit beschert, und sie konnte es kaum erwarten, Ludwig XIV. und der Königin Maria Theresia offiziell vorgestellt zu werden. Überglücklich, sich fern ihrer Heimat wiedergefunden zu haben, unterhielten sie sich lange Zeit über die glücklichen Augenblicke ihrer Kindheit und Jugend. Beide waren sie Waisen und hatten ihre Väter praktisch nicht gekannt, Gabriel war bei seinem Onkel und Louise bei ihrem Stiefvater aufgewachsen, da ihre Mutter wieder geheiratet hatte und an den Hof des Brudersvon König Ludwig XIII. gewechselt war, wo Louise gemeinsam mit den Prinzessinnen erzogen wurde. Dass Gaston von Orléans ihr Pate gewesen war, hatte dem jungen Mädchen auch nach seinem Tode noch zum Vorteil gereicht. Hatte er ihr nicht letztlich den Zugang zum königlichen Hof ermöglicht?
»Erzählt, erzählt!«, rief Gabriel. »Wie ist das Leben bei Hofe? Wen habt Ihr schon alles kennengelernt?«
Geduldig berichtete Louise vom Prunk und von der Langeweile, von den Stunden des Müßiggangs und von der Strenge der Etikette.
»Gestern haben wir vier Stunden damit zugebracht, Spitzen an das Brautkleid von Henrietta von England zu nähen und sie hinterher wieder abzutrennen, weil die ursprünglich gewählten Farben zu sehr den Farben der Anhänger der englischen Republik ähnelten, was dem englischen Hof missfallen könnte. Wir haben
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