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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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Spitzenhandschuh gehörte, welche den Sack gepackt hatte und ihn nicht mehr losließ.
    Ohne dass ein einziges Wort gesprochen wurde, stieß die spitze Klinge eines Dolchs durch das Dunkel und suchte die Gestalt, welche die Männer am Vorankommen hinderte. Der dumpfe Laut eines zu Boden sinkenden Körpers zeigte dem Mörder, dass er richtig gezielt hatte. Das arme Freudenmädchen hatte keine Gelegenheit mehr, den merkwürdigen Blick dessen wahrzunehmen, der ihr das Leben genommen hatte. Der Schnee würde bald eine weiße Decke über die Leiche des jungen Mädchens breiten. In Paris gab es unzählige Frauen, die das Elend zwang, jedem Vorübergehenden ihren Körperanzubieten, so dass niemand diesen Tod beklagen, geschweige denn den schmächtigen Leichnam einfordern würde.
    Immer noch schweigend schritten die vier Männer kräftig aus und gelangten bald zur Porte Saint-Antoine, wo sich die Handwagen der Bauern drängten, die schnell die Stadt verlassen wollten, bevor der Schnee es ihnen unmöglich machte, zu ihren Familien zurückzukehren. Die mit dicken Flocken bedeckten Felder vor den Toren von Paris leuchteten indes so hell, dass alle voll Zuversicht waren, welche die dunklen Gassen der Stadt hinter sich ließen.
    »Beeilen wir uns«, sagte der Mann mit dem Sack, der immer noch an der Spitze ging, »wir sollten die Herren nicht warten lassen.«
    Auf der dicker werdenden Schneedecke kamen sie jedoch immer schwerer voran, weshalb es ziemlich lange dauerte, bis sie in der Ferne die Umrisse des Hügels von Champs-l’Evêque ausmachten, den manche auch Mont-aux-Vignes nannten, und noch länger, bis sich am Horizont das eigentliche Ziel ihres nächtlichen Marschs abzeichnete.
    »Da ist es ja endlich: das Lustschloss von Regnault!«, sagte der Anführer der Bande und wies mit dem Finger auf das herrliche Kloster, das sich vor ihnen erhob.
    Fünfunddreißig Jahre zuvor war der ehemalige Besitz des reichen Gewürzhändlers Regnault de Wandonne zu einem prächtigen Refugium für die Jesuiten umgebaut worden. Zahlreich waren die Glaubensbrüder, die hier ihr Leben beschließen oder sich in ländlicher Stille erholen wollten. Ein Gemüsegarten und Obstkulturen boten der Klostergemeinschaft in der schönen Jahreszeit beachtliche Einnahmequellen und den kräftigsten Brüdern zahlreiche Betätigungen. In einem mit seltenen Baumarten bepflanzten Park fanden rekonvaleszente Jesuiten die für ihre Genesung notwendige Ruhe. Die Klosteranlage wurde von dem Jesuitenpater Françoisd’Aix de La Chaise geleitet. Hier hatte Kardinal Mazarin den vierzehnjährigen Ludwig XIV. in Sicherheit gebracht, als, auf dem Höhepunkt der Fronde, die Truppen des aufständischen Hochadels unter der Führung des Prinzen von Condé kurz davor waren, Paris einzunehmen und die Macht an sich zu reißen. Von dieser Anhöhe aus, von wo aus man Paris gut überblicken konnte, hatten sie den heftigen Gefechten in Saint-Antoine zugesehen. Nachdem der Aufstand gescheitert und Ludwig mit seinem Hof nach Paris zurückgekehrt war, hatten die Jesuiten vom König das außerordentliche Privileg erhalten, ihren Hügel Mont-Louis zu nennen.
    Am Haupttor angekommen, hielten die nächtlichen Besucher sich jedoch nicht damit auf, den traumhaften Blick auf die verschneite Hauptstadt zu genießen. Entlang der Umfassungsmauer gingen sie bis zur Rückfront der Klosteranlage, wo sich die dem heiligen Cosmas geweihte Kapelle befand.
    »Warten wir hier«, befahl der Anführer, der den Sack unter seinem schwarzen Umhang fest an sich gepresst hielt.
    Die vier Männer drückten sich dicht gegen die Mauer, um sich vor dem Schneegestöber zu schützen. Trotz der Kälte und ihrer Erschöpfung rührten sie sich nicht mehr. Nur eine unmerkliche Bewegung ihrer Lippen verriet, dass sie begonnen hatten zu beten.
    »Kyrie Eleison, Christi Eleison, Kyrie Eleison   …«
    In der Kapelle hallten die kräftigen Stimmen der Jesuiten durch das Gewölbe. Wie er es jeden Tag zu tun pflegte, zelebrierte Pater de La Chaise die Abendmesse vor einer zusammengewürfelten Menge von Gläubigen: Mönche des Klosters ebenso wie Bauern der Ländereien und deren Familien. Im hinteren Teil der Kapelle, nahe der Statue des Schutzheiligen, die von flackerndem Kerzenlicht erhellt wurde, stand ein Dutzend Männer. Niemand beachtete die Gruppe, die in tiefe Andacht versunken schien.
    »Salve, Regina, Mater misericordiae; Vita, dulcedo et spes nostra, salve   …«
    Als die Gottesdienstbesucher den Lobgesang der

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