1661
…«
»Seid Ihr glücklich?«, unterbrach Gabriel sie und ergriff liebevoll ihre Hand.
Louise schlug die Augen nieder, als suchte sie ihre zarten Finger in den sehnigen, großen Händen Gabriels. Dann blickte sie auf und sah ihn an.
»Ich weiß nicht, ob ich glücklich bin, Gabriel«, antwortete sie. »Doch jetzt fühle ich wieder, wie mein Herz schlägt. Das Leben hier steckt voller Überraschungen und ich habe den Eindruck, dass in Paris alles möglich ist. Wisst Ihr, es ist merkwürdig, aber manchmal träume ich nachts von den Wiesen, über die wir als Kinder gelaufen sind, und in den Träumen fehlen sie mir, während sie mir doch in der Zeit, bevor ich an den Hof kam, sterbenslangweilig erschienen.«
Abrupt entzog sie Gabriel ihre Hand und sprang auf. Sie sah nachdenklich aus.
»Die Wiesen … es war herrlich dort mit Euch, damals, alsam Ende der Felder hinter dem Landsitz Eures Onkels für uns noch Amerika lag und wir nicht müde wurden, uns gegenseitig von den Einhörnern zu erzählen, die im Wald hinter dem Schloss von Gaston von Orléans lebten. Erinnert Ihr Euch? Als Ihr fortgegangen seid, hatten wir schon lange Zeit aufgehört, an die Existenz von Einhörnern zu glauben. Nun, seitdem ich hier bin, ist es, als hätte sich mir eine neue Welt aufgetan. Das Leben in Paris ist beeindruckend, manchmal erschreckend, doch alles in allem wunderschön. Findet Ihr nicht auch?«
»Ich bin in einer etwas anderen Situation als Ihr, Marquise«, antwortete Gabriel in spöttischem Ton, »Ihr wohnt in einem Schloss, ich hingegen in einer schäbigen Mansarde.«
Es war fast zwei Uhr nachmittags, als Louise sich verabschiedete. Gabriel begleitete sie hinunter auf die Straße, wo er seiner Jugendfreundin das Versprechen abnahm, ihn so bald wie möglich wieder zu besuchen. Während der junge Mann ihr noch träumerisch nachblickte, kam ihm auf einmal seine unerhörte Entdeckung wieder in den Sinn, die Unterschrift seines Vaters auf den verschlüsselten Schriftstücken des Kardinals, und alles begann sich in seinem Kopf zu drehen. So in Gedanken versunken, bemerkte Gabriel deshalb auch den Mann nicht, der ihn, in einer Toreinfahrt auf der anderen Seite der Rue des Lions Saint-Paul verborgen, nicht aus den Augen ließ.
Rom
Dienstag, 8. Februar, elf Uhr morgens
François d’Orbay war durch die Via Giulia gekommen. Da ihm bis zu dem vereinbarten Treffen noch etwas Zeit blieb, sah er sich den Palazzo von außen etwas näher an. Mit unverhohlener Bewunderung betrachtete der Pariser Architekt an diesem schönen sonnigen Morgen das von Michelangelo entworfene Kranzgesims der Front und bestaunte die unvergleichliche Harmonie der Fassade, die, wie man sich erzählte, mit Steinen aus den antiken Ruinen der Stadt errichtet worden war. Der größte private Palazzo Roms strahlte Strenge und majestätische Größe zugleich aus, ganz wie es dem Bilde seines ersten Besitzers, Papst Paul III., entsprach, dachte d’Orbay.
»Würdet Ihr Seiner Eminenz bitte kundtun, dass Monsieur François d’Orbay eingetroffen ist?«, sagte er zu dem Lakai in der roten Livree, der ihm mit einer Verbeugung das Tor des Palazzo Farnese geöffnet hatte.
»Monsieur werden bereits erwartet«, antwortete der Diener auf Französisch, wenn auch mit starkem italienischen Akzent. »Wenn Monsieur mir bitte folgen wollen.«
Im Inneren des Gebäudes bewunderte d’Orbay den Hof, der für sich allein schon ein Meisterwerk war, zumal das zweite Obergeschoss ebenfalls Michelangelo errichtet hatte. Die Treppen hinauf führte ihn der Diener dann durch eine große Galerie, wo d’Orbay nicht umhinkonnte, einen Augenblickstehen zu bleiben, so sehr war er von der Pracht der Deckengewölbe geblendet, die im vorigen Jahrhundert von Carracci ausgemalt worden waren. Die barocken Deckenfresken, die von der Mythologie inspiriert waren, strahlten eine wahrlich faszinierende Heiterkeit aus. Vor de Gondis Kabinett riss sich der Architekt jedoch zusammen, war er an diesem Vormittag doch nicht wegen der Pracht der Architektur in den Palazzo gekommen, in dem der Erzbischof von Paris residierte.
»Monsieur François d’Orbay«, verkündete der Diener und hielt dem Besucher die Tür auf.
Mit einer tiefen Verbeugung betrat der französische Baumeister den Raum. Als er seine Augen hob, war er, wie bei jedem ihrer bisherigen Treffen, überrascht von der wachen, fast jugendlichen Ausstrahlung seines Gegenübers. Nur mit einer einfachen Soutane bekleidet, hatte sich
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