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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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vergewissern, dass er nicht ebenfalls fliehen wollte. Der Kardinal erinnerte sich noch gut an die tiefe Demütigung des blutjungen Königs, der durch dieses nächtliche Erlebnis lange Zeit traumatisiert war. Und sich selbst sah er allein auf der Straße nach Le Havre, unterwegs ins Exil nach Brühl bei Köln. Jäh schreckte er aus seinem Schlummer hoch.
    »Die Karten, die Karten, man muss mir sofort die Karten legen!«, rief er und befahl, ihn auf der Stelle ins Schloss zurückzutragen.
    An der Tür zu seinem Schlafgemach erwarteten ihn schon seine Leibärzte. In den letzten Tagen hatte sich der Gesundheitszustand des Kardinals kontinuierlich verschlechtert, woran die Behandlungsmethoden der medizinischen Fakultät zweifellos ihren Anteil hatten. Seit mehreren Wochen litt eran einer heftigen Nierenentzündung, wozu sich vor kurzem noch ein Lungenödem gesellt hatte.
    »Clysterium donare, postae saignare,
danach
purgare
«, ordnete der erste Arzt nun an.
    »Außerdem sollte Seine Eminenz unbedingt dieses Brechmittel einnehmen«, erklärte der zweite und deutete auf eine Karaffe, die einen aus Antimon und Pottasche zubereiteten Trunk enthielt.
    In diesem Augenblick wurden die Flügeltüren aufgerissen, und die Königinmutter betrat den Raum, was der erhitzten Debatte zwischen den gelehrten Doktoren über die richtige Heilmethode für ihren bedeutenden Patienten ein Ende bereitete. Ehrerbietig verließen sie den Raum. Mazarin seufzte vor Erleichterung, dass Anna von Österreich ihm die Blutsauger vom Hals geschafft hatte.
    »Jules, wie konntet Ihr nur so leichtsinnig sein! Man hat mir berichtet, dass Ihr Euch durch die Gärten habt tragen lassen.«
    Ohne zu antworten, betrachtete der alte Mann lächelnd das Gesicht der Königinmutter, das er so gut kannte, versenkte sich in die Augen, die ihn zärtlich anblickten. Das Schweigen hielt lange an.
    »In den letzten Tagen habe ich mein Testament diktiert, Madame. Ich habe den Entschluss gefasst, mein gesamtes Vermögen Eurem Sohn, dem König von Frankreich, zu schenken«, sagte er mit schwacher Stimme. »Da ich bald vor Gott treten muss, schien es mir richtig, ihm die Reichtümer zu vermachen, die ich leider häufig auf unrechtmäßige Weise erworben habe.«
    »Mein lieber Jules, die Geste ehrt Euch. Ich sehe darin einen weiteren Beweis dafür, dass Ihr meinem Sohn ein wahrer Vater seid«, erwiderte die Königinmutter, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ihr wisst allerdings nur zu gut, dass der König von Frankreich Euer Geschenk niemals annehmen kann.«Sie biss sich auf die Lippen, da sie glaubte, den Kardinal mit ihrer letzten Bemerkung gekränkt zu haben. »Er verdankt Euch schon so viel. Ihr habt die durch die Fronde angezettelten Aufstände niedergeschlagen, Ihr habt in allen unseren Provinzen die Ordnung wiederhergestellt, und Ihr habt mit Spanien Frieden geschlossen. Damit habt Ihr Frankreichs Vormachtstellung begründet. Und mit der Ehe zwischen Ludwig und der spanischen Infantin Maria Theresia habt Ihr die Position der Krone gefestigt. Ihr habt den Boden für unseren lieben Sohn vorbereitet, der nun unter Beweis stellen muss, was er von seinem Paten gelernt hat. Wenn, wie Ihr mir oft gesagt habt, er es wirklich weiter bringen wird als alle seineVorfahren, dann ist
das
Euer Erbe.«
    »Nun, sollte Ludwig mein Geschenk ablehnen, umso besser«, war die rätselhafte Antwort des Kardinals.
    Die Anstrengungen des Tages hatten den alten Mann sichtlich erschöpft. Die Königinmutter beschloss, sich zurückzuziehen, um ihm etwas Ruhe zu gönnen. Als sie das Schlafgemach verließ, begegnete sie dem Magier, der dem Ersten Minister die Karten legen sollte. Immer noch über Mazarins seltsame Worte grübelnd, keimte in ihr ein Verdacht auf: Was, wenn der Erste Minister aufgrund seiner Krankheit langsam den Verstand verlor?

Eglise Saint-Roch
    Samstag, 5.   März, fünf Uhr nachmittags
    Die Kirche von Saint-Roch, die Ludwig XIV. lieb und teuer war und zu der er 1653 selbst den Grundstein gelegt hatte, war an diesem späten Nachmittag zum Bersten gefüllt. Hier wie in ganz Paris betete man seit vierzig Stunden ununterbrochen für das Seelenheil des Kardinals, an dessen Krankenlager in Vincennes die Zahl der Bittsteller von Stunde zu Stunde größer wurde, hofften doch alle insgeheim, von Seiner Eminenz noch eine letzte Gunst gewährt zu bekommen oder in einem letzten Testamentsnachtrag bedacht zu werden. Dieses Bittgebet war insofern außergewöhnlich, da es bisher

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