1661
näherte Gabriel sich der Ecke, woher die Stimmen zu kommen schienen. Als er dort ein kleines, in die Fliesen eingelassenes Gitter entdeckte, ging ihm ein Licht auf: Der Schacht führte zweifellos zu einem Kamin in einem der Salons der darunterliegenden Etage. Schnell legte er das Ohr an das Lüftungsgitter.
»Euer Onkel ist viel zu gerissen, um ihm wirklich die Wahl zu lassen«, fuhr unten der Herzog voller Zorn fort. »Hat er ihm etwa die Wahl bei Eurer Schwester gelassen?«
Eine Weile herrschte Schweigen, dann antwortete die Frauenstimme in verärgertem Ton: »Sicher nicht, Hoheit, aber diese List …«
»Olympia Mancini«, sagte Gabriel leise zu sich selbst. Die älteste Nichte des Kardinals, die ihm Julie auf Hortensias Hochzeit gezeigt hatte, stand ihm wieder klar vor Augen. »Das muss sie sein, und die Schwester, von der Monsieur spricht, istMaria, die erste große Liebe des Königs. Aber was tut sie hier im Palais des Herzogs?«
»Es ist kein Gerücht, Hoheit«, fuhr Olympia Mancini fort. »Der Kardinal hat sein gesamtes Vermögen der Krone übereignet. Und es stimmt ebenso, dass der König die Schenkung abgelehnt und sie meinem Onkel zurückgegeben hat.«
In der nun folgenden Stille vernahm Gabriel nur die schweren Schritte des Herzogs, die erst innehielten, als er von neuem zu sprechen anhob.
»Was für ein Husarenstück! Man verschenkt nicht jeden Tag etliche Millionen Livre, selbst wenn man schon im Sterben liegt. Der Kardinal überrascht uns doch immer wieder.«
»Ich sehe da vielmehr den Einfluss eines Ratgebers. Monsieur Colbert verlässt meinen Onkel fast nicht mehr, er hat ihm bei der Abfassung des Testaments zur Seite gestanden und ist von ihm zum einzigen Bevollmächtigten ernannt worden, der seinen letzten Willen verändern darf. Und falls Ihr noch eines weiteren Beweises seines Einflusses bedürft: Die Angst, die meinen Onkel heute Morgen ergriffen hatte, bevor der König ihm seine Antwort übermittelte, spricht Bände. Ich dachte eigentlich, die Krankheit wäre schuld an seiner fahlen Gesichtsfarbe, doch kaum hatte die Königinmutter ihm die Nachricht überbracht, sah er auf einmal schon viel besser aus. Der Kardinal hatte wirklich bis zuletzt befürchtet, dass der Souverän ihn beim Wort nimmt.«
»Wenn wir ehrlich sind, Madame, und Monsieur Colberts gelungenen Coup einmal beiseitelassen, so freut sich jeder von uns doch, dass der Kunstgriff geglückt ist: Bei Gott, Madame, Ihr erbt, und ich ebenfalls, wenn Eure Auskünfte stimmen. Dank meines Bruders ist unsere Erbschaft gesichert. Und er hat seinen Paten drei Tage warten lassen, drei ganze Tage, bis er die Schenkung zurückwies! Ein wahrlich königliches Gebaren«, entgegnete Philipp von Orléans amüsiert, seine Stimmeklang jedoch gleich wieder ernst. »Dennoch, wie furchterfüllt muss der Kardinal sein, um zu solch einer List zu greifen. Steht es so um sein Vermögen? Anscheinend ja.«
»Ich denke, dass das Feuer vor einem Monat ihn sehr beunruhigt hat. Dass seine Leute den Zwischenfall vertuschen wollen, kommt mir höchst merkwürdig vor«, antwortete Olympia.
»Ihr schenkt den Gerüchten von den gestohlenen Papieren also Glauben?«
»Neulich hörte ich ihn jedenfalls im Halbschlaf fantasieren, dass ihm während des Brandes etwas verloren ging oder gestohlen wurde, das ihm sehr am Herzen liegt …«
»Nun, ich bin Euch dankbar, Madame, dass Ihr von Vincennes herbeigeeilt seid, um mir diese Neuigkeiten zu überbringen«, sagte der Bruder des Königs. »Kommen wir zu der anderen Angelegenheit, wegen der Ihr mich sprechen wolltet. Es geht dabei um eine Gesellschaftsdame meiner künftigen Gattin, sagt Ihr?«
»Mademoiselle de La Vallière, ja, Hoheit.«
Als er Louises Namen hörte, zuckte Gabriel zusammen und drückte sein Ohr noch fester an den Lüftungsschacht.
»Ich möchte Euch nur warnen, Hoheit. Mademoiselle de La Vallière ist vor einigen Tagen dem König vorgestellt worden.«
»Und?«
»Seine Majestät war so freundlich, das Wort an sie zu richten. Daran ist nichts Außergewöhnliches, werdet Ihr sagen. Beachtenswert ist allerdings, dass der König ihr Briefchen schreibt.«
»Er
schreibt
ihr?«
»Ja, Hoheit. Und wenn es stimmt, was meine Spitzel mir berichten, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, wählt er darin Worte, die einen doch sehr an die Verabredung eines Rendezvous erinnern.«
»Interessant, interessant … Mein Bruder macht sich für gewöhnlich nicht die Mühe, Briefe zu schreiben. Wir
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