1661
hatte er sich in die Kissen zurücksinken lassen und die Augen geschlossen. Erst nach einer langen Zeit des Überlegens ließ sich seine schwache Stimme wieder vernehmen.
»Colbert … ist es nicht meine Pflicht, dem König den Rat zu geben, Fouquet davonzujagen?«
Die Bemerkung des Kardinals überraschte Colbert so sehr, dass er die Feder fallen ließ, mit der er den Testamentsnachtrag geschrieben hatte. Hatte Mazarin dem König nicht erst am Abend zuvor, nach der Ratssitzung hier in seinem Schlafgemach, Le Tellier, Lionne und Fouquet empfohlen? Hatte er nicht über den Oberintendanten der Finanzen gesagt, dass dieser »kluge Ratschläge zu allen Staatsangelegenheiten gebe,welcher Art sie auch immer sein mögen«? Der treue Colbert jubelte in seinem tiefsten Inneren über den Meinungsumschwung, den er sich seit Wochen erhoffte, ließ sich aber nichts davon anmerken und antwortete wie immer ohne offensichtliche Bewegtheit.
»In Anbetracht der zahlreichen betrügerischen Finanzmanöver des Oberintendanten kann ich Eurer Eminenz nur zu größter Vorsicht raten. Auch solltet Ihr bedenken, wie groß die Zahl und die Macht seiner Freunde ist, bevor Ihr Seiner Majestät einen solchen Ratschlag gebt. Und schließlich«, fügte Fouquets erklärter Feind perfide hinzu, »könnte die Tatsache, dass der Oberintendant ein großes Heer auf seinen Besitzungen auf der bretonischen Insel Belle-Île zusammengezogen hat, den inneren Frieden des Königreichs in Gefahr bringen und seinen Schatten werfen auf die künftige Regierung Seiner Majestät.«
»Habt Dank für Eure Offenheit, mein guter Colbert, wie immer urteilt Ihr einzig im Interesse des Staates. Eure sorgfältige Analyse ist gewiss richtig …« Der Sterbende hielt einen Moment inne. »Meine Stunden sind gezählt«, murmelte er dann, »weshalb ich Euch auch nicht länger verschweigen möchte, dass ich Euch Seiner Majestät empfohlen habe. Ich habe ihm versichert, dass Ihr den Staatshaushalt mit einem Elan sanieren werdet, als handele es sich um Euer eigenes Hab und Gut. Der König hat zugestimmt, dass ein dritter Finanzverwaltungsausschuss gebildet wird, mit dessen Leitung Ihr betraut werden sollt, als Lohn für Eure Ergebenheit. Ebenso wünsche ich, dass Eure Verdienste festgehalten werden. Ihr werdet diese Zeilen meinem Testament hinzufügen«, sagte der Kardinal und reichte seinem Vermögensverwalter ein eigenhändig beschriebenes Blatt, wobei seine Hand stärker zitterte als sonst.
Colbert ergriff es wortlos und verneigte sich tief. Mit immerstärker klopfendem Herzen überflog er rasch die ersten Zeilen. »… Integrität, Treue und Intelligenz, die er bei unzähligen Zusammenkünften bewiesen hat … Nachdem ich zwölf Jahre lang voller Wohlgefallen den Pflichteifer beobachtet habe, mit dem Monsieur Colbert mir zu Diensten war, kann ich meiner Zufriedenheit darüber nicht genug Ausdruck verleihen … Daher heiße ich alle Geschäfte gut, die Monsieur Colbert kraft der Generalvollmachten, die ich ihm erteilt habe, getätigt hat, wie auch das, was er auf mündliche Anordnung hin ausführte … ich wünsche, dass Monsieur Colberts Worten in allem geglaubt wird, um welche Angelegenheiten es sich auch immer dabei handeln möge … ich verfüge des Weiteren, dass sämtliche Konten meiner Familie bestehen bleiben und von Monsieur Colbert geführt werden, der darüber niemandem Rechenschaft abzulegen hat.«
Das Blut pochte in Colberts Schläfen. Er hatte die erste Stufe auf dem Weg zur Macht erklommen, er, Colbert, der kleine, unbedeutende Buchhalter, würde künftig mit Nicolas Fouquet gleichgestellt sein! Die kommenden Stunden werden entscheidend sein, sagte er sich, als er nach der Niederschrift der ihn betreffenden Verfügungen an Mazarins Sterbelager trat, um ihn sein Testament unterschreiben zu lassen. Im selben Augenblick ließ ihn eine Stimme zusammenzucken.
»Seine Majestät der König!«
Bei der Ankündigung öffnete der Kardinal die Augen und sah Ludwig XIV. sein Schlafgemach betreten, dessen Überraschungsbesuch gegen alle Regeln der Etikette verstieß.
»Eure Gegenwart ehrt mich, Sire, und erwärmt mir das Herz. Jedoch verrät sie mir auch, dass ich bald in die Ewigkeit abberufen werde. Wie Ihr seht, bin ich bereit. Gleich werde ich mein Testament unterzeichnen. Die Königinmutter hat mich davon unterrichtet, dass Eure Majestät mein Erbe ausgeschlagen hat, weshalb ich mich gezwungen sah, meine letztwilligeVerfügung zu ändern.
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