1661
Monsieur Colbert wird Euch darüber in Kenntnis setzen, falls Ihr es wünscht.«
Während der Kardinal mit zitternder Hand die Papiere signierte, setzte sich der König von Frankreich in einen Sessel, den man an das Bett seines Ersten Ministers geschoben hatte. Mit einem trauervollen Lächeln ergriff Ludwig XIV. die Hand des alten Mannes.
»Verehrter Pate, die tiefe Zuneigung, die ich für Euch empfinde, hat mich hierhergeführt. Eurer Bitte entsprechend habe ich Abbé Joly rufen lassen, der im Vorzimmer wartet. Nur gestattet mir eine Frage: Warum ausgerechnet er? In Anbetracht der von ihm vor zehn Jahren verfassten Pamphlete gegen Euch bin ich höchst überrascht über Eure Wahl.«
»Joly ist ein ernsthafter und brillanter Kirchenmann. Er liebt mich nicht, das weiß ich. Aber so habe ich wenigstens die Gewissheit, dass die Absolution, sofern er sie mir erteilt, nicht geheuchelt sein wird.«
Der König nickte schweigend. Als er sah, wie den alten Mann ein Frösteln überlief, erhob er sich und schürte unter Mazarins gerührten Blicken kräftig das Feuer im Kamin. Derweil verließ Colbert mit einer ehrerbietigen Verbeugung und blitzenden Augen den Raum.
»Mein lieber Ludwig, erlaubt mir einen letzten Rat«, sagte Mazarin nun und legte eine Hand auf den Arm seines Patensohns, der zu seinem Krankenlager zurückgekehrt war. »Seit mehreren Stunden schon zermartere ich mir den Kopf darüber. Gewisse Hinweise führen mich dazu, Euch zu bitten, vor dem Oberintendanten der Finanzen auf der Hut zu sein. Ich will nicht zurücknehmen, was ich Euch gestern über ihn gesagt habe: dass er zu großen Leistungen fähig wäre, könnte man ihn dazu bringen, sich die Frauen und die Vorliebe für Architektur aus seinem Kopf zu schlagen. Dennoch bitte ich Euch inständig: Seid um Gottes willen wachsam.«
»Ich werde Euren Ratschlag beherzigen, verehrter Pate«, antwortete der König und drehte schnell den Kopf weg, damit der Kardinal nicht die Röte sah, die ihm bei der Erwähnung von Fouquets Faible für das weibliche Geschlecht ins Gesicht gestiegen war, »wie alle, die ich seit meiner frühesten Kindheit von Euch angenommen habe …«
»Ich habe nur meine Pflicht getan als Euer Minister und Pate, Sire. Heute kann ich Euch gestehen, wie kostbar mir die Zuneigung war, die Ihr mir schon als kleiner Junge und später dann als Souverän entgegengebracht habt. Mein Leben, mein ganzes Leben«, sagte Mazarin mit tränenfeuchten Augen, »wäre ohne Euch jämmerlich und unnütz gewesen.« Der alte Mann machte eine Pause, um der Rührung, die ihn überwältigt hatte, Herr zu werden. »Lasst Euch nicht in einen neuen Krieg verwickeln, Sire, er kann berauschen und Ruhm einbringen, aber auch die entschlossensten Herzen tyrannisieren. Nehmt Euch vor Euren Verbündeten in Acht. Und hüten Euch vor denen, die sich heimlich gegen Euch verschwören …«
Der König zuckte zusammen.
»Überall lauern Gefahren, Sire«, fuhr Mazarin fort, »das Königtum gründet auf Hochachtung und Furcht, doch wird es immer Fantasten geben. Ich habe viel Zeit darauf verwendet, sie von Eurer Majestät fernzuhalten. Ich habe sie jahrelang bekämpft und, wie ich glaube, nicht ganz glücklos«, erklärte er mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen, »aber ich bin nie der Täuschung erlegen, sie für immer besiegt und ausgerottet zu halten.« Der Sterbende musste innehalten, um wieder zu Atem zu kommen. »Sire, seht Euch vor diesen Fantasten vor. Seid misstrauisch, ohne Übertreibung, aber habt auch keine Nachsicht. Vertraut auf den Rat von Colbert, wenn ich nicht mehr bin …« Der Druck auf den Arm des jungen Königs wurde stärker. »Wenn ich nicht mehr dazu kommensollte, dies vor meinem Ableben noch zu regeln, werde ich ihn über Dinge in Kenntnis setzen, die von solcher Bedeutung sind, dass ich sie eigentlich nie irgendjemandem offenbaren wollte, aus Angst, Euren Interessen zu schaden. Ihr solltet ihm Gehör schenken …« Seine Stimme war nur noch ein Hauch. »Ich verdanke Euch alles, Sire. Ihr habt mein Vermögen zurückgewiesen, aber ich glaube, mich erkenntlich zeigen zu können, indem ich Euch Colbert hinterlasse«, schloss der Kardinal mit erlöschender Stimme.
Ludwig XIV. gab seinem Ersten Minister, der wieder in Dämmerschlaf gefallen war, keine Antwort. Er legte die hagere Hand des alten Mannes auf das Laken zurück und verließ leise das Schlafgemach. Im Vorzimmer bat er den Pfarrer von Saint Nicolas-des-Champs, sich unverzüglich an
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