1661
dann«, erklärte er und stieg die Treppen zum Ausgang hinauf, »ich gehe an die frische Luft. Ihr habt zehn Minuten Zeit, um Euch zu entscheiden. Danach garantiere ich für nichts mehr.« Vor der Türschwelle drehte er sich noch einmal kurz um. »Ach, Ehrwürden, bevor ich es vergesse: Ihr kommt selbstverständlich mit mir. Seine Majestät hat mich heute nach Vincennes bestellt, und ich bin mir sicher, dass Ihr den Seinen von großem Nutzen sein werdet.«
Ohne ein weiteres Wort öffnete Colbert die Tür und ging hinaus.
Der Anführer der Verschwörer bekreuzigte sich stumm und murmelte ein unverständliches Gebet. Nachdem er seinen Mitbrüdern einen gebieterischen Blick zugeworfen hatte, hüllte er sich in seinen Umhang und stieg ebenfalls die Treppen hinauf. Als er hinter sich die Tür knarren hörte, lächelte Colbert. Er hatte gewonnen und die Verschwörer zu seinen Verbündeten gemacht. Sie würden ihm fortan treu zur Seite stehen, verdankten sie ihm doch ihr Leben.
Schloss von Vincennes
Donnerstag, 10. März, neun Uhr morgens
Mit den Händen auf der Tischplatte aus grünem Marmor gab sich Colbert dem angenehmen Gefühl der Kühle hin, die von dem Stein ausging. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die acht Männer, die sich zur ersten Ministerratssitzung nach dem Tod des Kardinals versammelt hatten: der alte Kanzler von Frankreich, Pierre Séguier, der seine unkontrolliert zitternde rechte Hand verbarg; Michel Le Tellier, dessen Stirn sorgenvoll gerunzelt war; Hugues de Lionne, der wie immer hochmütig dreinblickte; La Vrillière, dessen Blick unruhig von einer Ecke in die andere wanderte; die beiden Brienne, die in ihrer Bedeutungslosigkeit immer schwieriger zu unterscheiden waren; Guénégaud, der Grandseigneur in Person – und schließlich Nicolas Fouquet, der in die Betrachtung des allegorischen Gemäldes versunken schien, welches die Türverkleidung zierte.
Als urplötzlich die Tür aufgerissen wurde, fuhr La Vrillière zusammen, und die beiden Brienne drehten sich gleichzeitig um. Nur Séguier reagierte erst, als die anderen Minister sich schon erhoben. Mit schnellen Schritten betrat der König den Raum. Er trug einen blauen Mantel und eine Schärpe aus weißer Seide, dazu einen Hut mit zwei weißen Federn. Eine Hand auf dem Griff seines Elfenbeinstocks, blieb er vor dem Tisch stehen und sah die Anwesenden durchdringend an.
»Monsieur«, richtete er sich an den Kanzler, ohne seinen Hut abzunehmen, »ich habe Euch und meine Minister und Staatssekretäre einberufen, um Euch mitzuteilen, dass ich die Staatsgeschäfte bis jetzt gern durch Seine Eminenz führen ließ.« Der Stock stieß kaum vernehmbar auf den Steinfußboden. »Doch fortan werde ich allein regieren. Es wird nie wieder einen Ersten Minister geben. Ihr werdet mir mit Eurem Rat zur Seite stehen, falls ich Euch darum ersuche.«
Die neun Männer verbeugten sich untertänig.
»Ihr, Monsieur de Brienne, werdet alle militärischen Angelegenheiten mit Monsieur de Lionne besprechen. Und Ihr, Monsieur Fouquet, werdet aus der Mitarbeit von Monsieur Colbert Nutzen ziehen, den ich zum Intendanten der Finanzen mit besonderem Auftrag ernannt habe, und werdet mir über Euer Handeln stets Rechenschaft geben. Wir werden uns dazu in den nächsten Tagen noch näher unterhalten.«
Colbert versuchte den Oberintendanten mit einem freundlichen Lächeln und einer unterwürfigen Verneigung zu bedenken, ihm gelang aber nur eine hässliche Grimasse, so schlecht verbargen seine hervorquellenden Augen seine Erregung.
»Die Zeiten ändern sich, meine Herren. Der Regierung meines Staates, der Verwaltung meiner Finanzen und der Außenpolitik werde ich andere Prinzipien als Seine Eminenz zugrunde legen. Sie kennen nun meinen Willen. Es ist an Ihnen, meine Herren, ihn zu erfüllen.«
Der König ging hinaus und geruhte, einen Moment mit einigen Höflingen zu plaudern, die dem Kardinal die letzte Ehre erwiesen. Unter ihnen befand sich auch der Erzbischof von Rouen, Harley de Champvallon, der Vorsitzende der Klerikerversammlung.
»Eure Majestät hatten befohlen, mich in allen Angelegenheitenimmer an Seine Eminenz, Kardinal Mazarin, zu wenden«, sagte er ehrerbietig. »Er ist nun tot. An wen wünschen Eure Majestät, dass ich mich fortan wende?«
Da drehte sich Ludwig XIV., der ihm zuvor nur mit halbem Ohr zugehört hatte, abrupt zu ihm um und sah ihn durchdringend an.
»An mich, Ehrwürden, an mich.«
Maincy
Donnerstag, 10. März, zur Mittagszeit
»Habt
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