1661
dass wir die Fristen einhalten werden. Ich kann es kaum erwarten, Euch alles zu zeigen.«
»Monsieur de La Fontaine, den Ihr ja schon kennt, und der junge Mann hier möchten auch unbedingt Euren Bienenstock besichtigen. Also öffnet uns Euer Atelier und enthüllt uns Eure Wunderwerke.«
Die vier Männer traten in den Innenhof des Klosters.Gabriel war verblüfft über das geschäftige Treiben und die wohlüberlegte Organisation, die überall offenbar wurde. Die Manufaktur setzte sich aus Werkstätten und Warenlagern zusammen. Ein wahrer Bienenstock, das Bild trifft es wirklich gut, dachte der junge Mann, als er sich umsah. In einer Ecke stapelten sich unter einem Vordach unzählige Ballen ungekämmter Wolle erstklassiger Qualität aus verschiedenen Schafzüchtereien des Königreiches.
»Wir brauchen drei Tage und insgesamt sieben Arbeitsgänge, bis wir die Wolle entfettet und gesponnen haben«, erläuterte Le Brun den Besuchern. »Aus einem Pfund Wollvlies erhalten wir dreitausend Fuß Doppelfaden, also jene verschiedenfarbigen Schussfäden, aus denen die Bildwirker unsere Tapisserien herstellen.«
»Und mit der Belieferung habt Ihr keine Schwierigkeiten?«, wollte Fouquet wissen.
»Zu Anfang mussten wir wegen der mäßigen Qualität des gelieferten Wollvlies etliche Ballen zurückschicken. Inzwischen haben wir dank Eurer Ländereien auf Belle-Île jedoch genügend Vorrat. Eure Pächter suchen die besten Ballen für uns aus«, antwortete Le Brun.
Nach der Spinnerei und Färberei setzten sie die Besichtigung in den Ateliers der Maler fort. Dort wurden die Tapisserien in der richtigen Größe, aber spiegelverkehrt auf Leinwand gemalt. Le Brun war sehr stolz auf seine Leute, die er eigens aus Holland hatte kommen lassen und die seine Entwürfe mit außerordentlicher Meisterschaft übertrugen.
»Seht, Euer Gnaden«, sagte der berühmte Maler und deutete auf eine riesige Leinwand, die einen ganzen Tisch einnahm, »das hier wird die Tür, von der ich Euch Skizzen gezeigt habe.«
Fouquet beugte sich über das Werk.
»Ich bewundere Euer Können, Le Brun. Mein Wappentierin der Bildmitte ist von so graziler Finesse, dass ich darauf brenne, dieses Eichhörnchen in meinem Schloss bestaunen zu können.«
Gabriel sah sich fasziniert um. Jeder der dreihundert Arbeiter wusste offenkundig ganz genau, welche Handgriffe er auszuführen hatte. Wie bei einem Ballett schien alles genau aufeinander abgestimmt, insbesondere die Arbeit der Bildwirker, welche die von Le Brun entworfenen Kunstwerke mit unglaublich flinken Fingern entstehen ließen, indem sie die vielen verschiedenfarbigen Schussfäden auf dem Webstuhl hin- und herführten. Während der junge Adelige danach in den Lagerräumen in aller Ruhe die bis zu ihrem Abtransport nach Vaux aufbewahrten Tapisserien bewunderte und befühlte, trat Le Brun einen Schritt näher zu seinem Mäzen.
»Euer Gnaden, gestern habe ich Monsieur Colbert das Bestandsverzeichnis zukommen lassen, aber …«
»Von welchem Bestandsverzeichnis redet Ihr?«, unterbrach ihn Fouquet verwundert.
»Es erschien mir ja auch merkwürdig«, erwiderte Le Brun. Er war erleichtert, dass er die Sache ansprechen konnte. »Monsieur Colbert hat mich um eine komplette Vermögensaufstellung der Manufaktur gebeten. Ich habe zwei Tage für den Bericht gebraucht, der über unsere Warenbestände, unsere Gesellen und Meister, ihre Löhne sowie über die Zahl unserer Webstühle detailliert Auskunft gibt. Ich dachte, Ihr seid darüber unterrichtet …«
»Aber keineswegs!«, brauste Fouquet auf. »Was geht das Colbert an? Das hier ist mein Grund und Boden, hier bin ich der Herr! Ihr hättet niemals antworten dürfen, ohne mich vorher davon in Kenntnis zu setzen!«
»Das bestätigt meinen Verdacht«, raunte der Fabeldichter Jean de La Fontaine dem Oberintendanten zu und zog ihn in eine ruhige Ecke. »Er hat es sicher im Auftrag des Kardinalsgetan. Nach dem Tod Seiner Eminenz solltet Ihr seine Machenschaften aber nicht mehr dulden. Wann begreift Ihr endlich, dass diese Giftschlange Colbert Euch zugrunde richten will? Ich bin überzeugt, dass er es war, der in den letzten Wochen den todkranken Mazarin mit seinen Winkelzügen dazu gebracht hat, dem König die Abschaffung des obersten Ministeramts vorzuschlagen, mit dem einzigen Ziel, Euch den Weg zur Macht zu versperren. Mit Verlaub, Ihr seid zu gutmütig, Fouquet, zu naiv. Ihr müsst endlich handeln!«
Gabriel, der einige Meter entfernt stand, war nicht ein Wort
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