1661
Königinmutter beweisen, nicht beschafft hat. Mit dem Tod des Kardinals ist dies unwichtig geworden. Was jetzt zählt, ist, dass wir uns Gewissheit über die Absichten des Königs verschaffen. Ich …«
»Eine schöne Rede, die Ihr da haltet, Ehrwürden!«
Bestürzt drehten sich die versammelten Männer zu dem schmächtigen Mann um, der auf der Treppe hinter dem Pfeiler hervorgetreten war und dessen Gesicht eine Kapuze verdeckte.
»Verrat!«
Einer der Devoten sprang auf und zückte seinen Dolch. Der Älteste der Versammlung hielt ihn jedoch mit einer Geste zurück.
»Der Beichtvater des Königs ist wahrlich klug«, meinte der ungebetene Gast gelassen, »ich empfehle Euch dringend, die Waffen in der Scheide zu lassen.«
Sprachlos starrten die religiösen Eiferer den vermummten Mann an, der nun die letzten Stufen zu ihnen herabstieg.
»Meine Herren, jeder Widerstand ist zwecklos, es sei denn, Ihr wollt unbedingt als Märtyrer enden. Draußen warten zwei Kompanien Soldaten, die die Kapelle umstellt haben und keinen lebend entkommen lassen, der nicht einen von mir ausgestellten Passierschein vorzeigen kann.«
»Wer seid Ihr?«, fragte der Beichtvater des Königs.
»Jemand, der nur zu gut weiß, dass Ihr es gewesen seid, der dafür gesorgt hat, dass Morin auf ewig schweigt. Der den Namen und die Identität jedes Einzelnen hier kennt und Euch alle ausnahmslos überwachen ließ, seit Eure Sekte im September letzten Jahres aufgelöst wurde. Und der selbstverständlich bemerkt hat, dass Ihr heimlich den Louvre verlassen habt, nachdem der Tod des Kardinals bekannt gegeben worden war. Nun, meine Herren, beenden wir die Maskerade«, erklärte er und schlug die Kapuze seines Umhangs zurück.
»Colbert!«
»Höchstpersönlich.« Colbert ließ sich auf einem Stuhl nieder und schlug die Beine übereinander. »Jetzt haben wir uns also gegenseitig vorgestellt und können reden.«
»Was wollt Ihr?«, fragte einer der Männer. Seine Stimme war voller Misstrauen.
»Nun, Ihr wärt längst allesamt tot oder auf dem Weg in die Conciergerie, wenn ich es denn so gewollt hätte. Ich will aber niemanden töten müssen, von dem ich mir nicht sicher bin, ob er tatsächlich mein Feind ist. Eure Äußerungen, denen ich zugehört habe, bevor ich mich zu Euch gesellte, lassen mich glauben, dass wir dies vermeiden können.«
Angesichts der fragenden Mienen der Verschwörer gönnte sich Colbert einen Moment der Besinnung, bevor er weitersprach.
»Ihr habt den Kardinal gehasst. Ihr wolltet ihn zugrunde richten, indem Ihr seine intime Beziehung zur Königinmutter aufzudecken suchtet. Jetzt ist er tot und hat das Geheimnis mit ins Grab genommen. Warum sich also noch bekämpfen?«
Der religiöse Eiferer, der zu Beginn die zornigen Worte gesprochen hatte, beugte sich vor und sagte voller Verachtung:
»Um der heiligen Sache des Herrn Respekt zu verschaffen.«
»Wer ist hier denn ein Feind der Kirche?« Colbert blickte ihn aufmerksam an. »Kein Mensch sollte so etwas vom König denken. Ganz im Gegenteil: Seine Majestät will ihre Position festigen. Da wir unter uns sind, kann ich Euch schon verraten, was noch für kurze Zeit ein Geheimnis ist: In einigen Tagen wird Seine Majestät die Klerikerversammlung auffordern, gegen Abweichler jeglicher Art vorzugehen. Jeder Geistliche muss unterschreiben, dass er die Autorität unser Heiligen Mutter Kirche und des Königs als Gottes Ritter auf Erden anerkennt.« Colbert stieß seinen Stuhl zurück und begann die Krypta mit großen Schritten zu durchmessen. »Die Zeit von Leuten wie Morin ist vorbei, seid Euch dessen gewiss. Lasst Euch nicht von den Feinden des Königtums täuschen, denn sie sind auch gegen die göttliche Ordnung, die es begründet. Es gibt dafür Indizien, von denen mir der König selbst be-
richtet hat. Lasst Euch nicht verblenden. Lasst sie uns gemeinsam bekämpfen«, schloss Colbert im Brustton der Überzeugung und fixierte die ihn umgebenden Männer. Als er ihre Erschütterung gewahrte, flackerten Colberts dunkle Augen vor Erregung. »Unser Herr sollte nicht seiner Mitstreiter beraubt werden. Ihr habt die Wahl, meine Freunde: Ihr könnt diesen Raum ungehindert verlassen und Eure Mission fortführen, und das wesentlich freier als bisher, da sie dem Willen des Königs folgen wird, der Euch durch mich zugetragen wird. Oder Ihr geht hier in Ketten hinaus, werdet heute Abend in der Bastille abgeurteilt und besteigt morgen das Schafott. Ihr habt das Wort … Ihr sagt nichts? Also
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