1661
keine Angst, Monsieur de Pontbriand. Ich werde Euch kein Leid zufügen.«
Der Mann, der soeben in die Kutsche geklettert war, mit der Gabriel sich auf dem Weg zu Fouquets Schloss Vaux-le-Vicomte befand, war maskiert. Er hatte einen Halt ausgenutzt, um schnell die Tür zu öffnen und Molières Sekretär gegenüber Platz zu nehmen. Gabriel war wie vor den Kopf geschlagen, als er seinen Familiennamen hörte.
»Was wollt Ihr von mir? Wer seid Ihr?«, rief er verschreckt, während die Kutsche durch die engen Straßen des stillen Dorfes Maincy polterte.
»Ihr seid Gabriel de Pontbriand, der Sohn von André de Pontbriand. Als Ihr fünf Jahre alt wart, reiste Euer Vater von Amboise nach England, und seither wähntet Ihr ihn tot. Eure Mutter und Euer Onkel haben Euch erzählt, er sei auf dem Weg nach London gestorben. Ihr wohnt in Paris in der Rue des Lions Saint-Paul«, fuhr der Mann ungerührt fort. »Euer Onkel lässt Euch suchen, und die Polizei überwacht Euch.«
»Wer um Himmels willen seid Ihr, dass Ihr so viel über mich wisst?«, fragte der Schauspieler beunruhigt.
»Meine Person tut hier nichts zur Sache. Ich bin ein Freund Eures Vaters, dem Ihr übrigens sehr ähnlich seht. Ihr seid in großer Gefahr. Ich möchte Euch warnen.«
»Ihr
kennt
meinen Vater? Warum sprecht Ihr von ihm, als ob er noch leben würde?«, fragte Gabriel, der immer fassungsloser wurde.
»Das ist jetzt unerheblich«, sagte der Mann mit bemerkenswert ruhiger Stimme. »Wichtig ist im Augenblick nur eins: Versucht nicht, die Herkunft oder den Inhalt der Papiere, die sich in Eurem Besitz befinden, zu ergründen. Euer Leben ist in Gefahr, Monsieur de Pontbriand!«
»Welche Papiere?«, fragte der junge Schauspieler erschreckt.
»Monsieur de Pontbriand, die Zeit drängt, wir sind bald in Vaux. Muss ich Euch wirklich die verschlüsselten Schriftstücke beschreiben, die Ihr im Palais-Royal gefunden habt? Vielleicht kennt Ihr auch Monsieur Barrême nicht? Ihr solltet von solchen Dingen die Finger lassen. Dem Königreich stehen Tage und Wochen bevor, die sich als für sein Schicksal bestimmend und tragisch erweisen können. Hört auf meinen Rat und lasst Euch aus der Klemme ziehen, in die Ihr unfreiwillig geraten seid. Ich flehe Euch an, Ihr müsst diese Papiere aus Eurem Gedächtnis streichen. Händigt sie Barrême aus. Es gibt Geheimnisse, die größer sind als unser armseliges Leben!«
Im selben Moment hielt die Kutsche, und der vermummte Mann sprang so schnell hinaus, wie er das Gefährt zuvor bestiegen hatte.
»Wir sehen uns wieder, Cherubino!«, rief er, als er sich auf ein Pferd schwang, das geduldig unter einem Baum wartete. »Bis dahin denkt darüber nach … und seid vor allen Dingen vorsichtig.«
Mit offenem Mund sah Gabriel ihm nach, während die Karosse sich wieder in Bewegung setzte und eine prächtige Allee entlang auf das Schloss Vaux-le-Vicomte zurollte. Cherubino! Das ist der Kosename, den mein Vater mir gegeben hat!, dachte er aufgeregt. Wer ist dieser Mann? Seine Stimme …ich habe sie schon einmal gehört … wenn ich nur wüsste, wo. Und woher weiß er das alles? Warum die Warnung?
Der geheimnisvolle Fahrgast ritt unterdessen in gestrecktem Galopp die Straße nach Melun entlang. Als er weit genug entfernt war, dass man ihn nicht mehr erkennen konnte, riss er sich erleichtert die Maske vom Gesicht. Die Ähnlichkeit mit André ist jedenfalls unglaublich, sagte sich François d’Orbay, hoffen wir, dass die Warnung ihn wenigstens von nun an wachsam sein lässt.
Maincy
Freitag, 11. März, am frühen Nachmittag
Seit bald einer halben Stunde wartete Charles Le Brun nun schon stoisch in der Kälte. Endlich erschien die von vier Pferden gezogene Kutsche aus dem nahe gelegenen Vaux-le-Vicomte und hielt vor der Pforte des ehemaligen Klosters von Melun, das Fouquet den Nonnen vom Karmeliterorden 1658 abgekauft hatte. Der Oberintendant der Finanzen kletterte heraus, gefolgt von Jean de La Fontaine und Gabriel.
»Nun, mein lieber Le Brun, wie geht es mit der Arbeit voran?«, fragte Fouquet und nahm den berühmten Maler, der mit der Ausschmückung des Schlosses Vaux-le-Vicomte beauftragt war, beim Arm, um ihn aus seiner ehrerbietigen Verbeugung zu erlösen.
»Sehr gut, Euer Gnaden, unsere Bildwirker in der Tapisseriemanufaktur vollbringen jeden Tag wahre Wunder. Vaux wird ganz Euren Wünschen entsprechend dekoriert werden«, erklärte Le Brun. »Und ich habe noch eine gute Nachricht: Ich kann Euch heute versichern,
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