1661
die verdammten Papiere, sagte er sich, während er die Ledermappe gegen seine Brust presste, und heute Abend, ob sie will oder nicht, sage ich Mademoiselle de La Vallière gründlich die Meinung!
Im hellen Licht des Vollmonds wirkte das Schloss fast wie bei Tage. Die Bäume warfen ihre im Wind wogenden Schatten auf die gewaltige Baustelle in den Gärten, deren feine Harmonie der Imagination von André Le Nôtre entsprungen war. Mit einem Hut aus schwarzem Filz auf dem Kopf und in einen warmen, weiten Mantel gehüllt, verließ Gabriel das Hauptgebäude und wandte sich eiligen Schritts zu den Pferdeställen. Einige Minuten später kam er mit einem prächtigen vollblütigen Braunen heraus, den er fest am Zügel führte. Er mied die gepflasterten Alleen, da man das Geklapper der Hufe dort deutlich hören würde, und nahm stattdessen den unbefestigten Weg entlang der Nebengebäude. In der klaren, kalten Nacht hinterließen der Atem des Reiters wie auch der seines Pferdes kleine weiße Dampfwolken, die ihren Weg zum Eingangsgitter markierten. Kaum hatte Gabriel das Anwesen verlassen, sprang er auf das Pferd und sprengte davon, um auf die Straße nach Paris zu gelangen.
Im gestreckten Galopp ritt er unter den großen Bäumen zu beiden Seiten der Straße her. Die Kälte schnitt Gabriel ins Gesicht und brachte ihn wieder zur Besinnung. Seitdem er von dem Stelldichein des Königs mit Louise wusste, hatte sich der junge Mann noch nicht wieder beruhigen können. Er ertrug den Gedanken an das Rendezvous in der intimen Atmosphäre des Jagdpavillons von Versailles nicht. Um seinen heißen Zorn niederzukämpfen, war ihm die Kälte fast ebenso angenehm wie der Gedanke, dass er heute Abend sein Leben wieder selbst in die Hand nehmen würde.
Ich bleibe auf keinen Fall in diesem Schloss eingesperrt, sagte er sich. Es gibt allzu viele Leute, die offenbar mehr wissen als ich. Es mag mich vielleicht meine Bühnenkarriere kosten, aber ich ruhe nicht eher, bis ich den Schleier gelüftet habe, der über allem liegt.
Gabriel traf sehr spät in Paris ein und begab sich direkt zu Louise de La Vallière. Die junge Frau war im Begriff schlafen zu gehen, nachdem sie einen Großteil des Abends bei Henrietta, ihrer jungen Herrin, verbracht hatte, der es an Unterhaltung und Zuwendung mangelte. Louise war müde von der Anstrengung, die es sie gekostet hatte, die künftige Schwägerin des Königs bei Laune zu halten. Gabriel traf sie in einem einfachen Negligé an, das mit einem Spitzenkragen verziert war. Überrascht und erfreut, den jungen Mann wiederzusehen, warf Louise sich ihm in die Arme, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte.
»Gabriel, ich bin ja so glücklich, Euch zu sehen!«, rief sie und drückte ihn an sich. »Aber was tut Ihr hier zu so später Stunde? Wo seid Ihr die ganze Zeit gewesen?«
Gabriel ließ sich durch den herzlichen Empfang nicht erweichen und stieß seine junge Freundin brüsk zurück.
»Ich war in Sorge um Euch«, erwiderte er nicht ohne Boshaftigkeit. »Ich hatte Angst, Ihr könntet Euch im Wald von Versailles erkälten. Oder hat Euch der König von Frankreich angeboten, Euch zu wärmen?«
Die Attacke war so grob, dass es Louise die Sprache verschlug. Doch Gabriel war noch nicht fertig.
»Offenbar wollt Ihr nicht antworten. Glaubt Ihr etwa, dass Ludwig XIV. in Euch etwas anderes sieht als ein weiteres schmackhaftes Rebhuhn, das er auf seinen Jagdzügen erlegt? Die Liste seiner Eroberungen soll ja, wie man sagt, recht lang sein.«
Die Heftigkeit seiner Tirade brachte Louise einen Moment lang aus dem Gleichgewicht. Dann aber lächelte sie den jungen Mann an, der durch ihre unerwartete Reaktion nun seinerseits ein wenig aus der Fassung geriet.
»Solltet Ihr etwa eifersüchtig sein, Monsieur de Pontbriand?«, fragte sie ihn mit einem Hauch von Ironie, die jedochnicht verbergen konnte, wie aufgewühlt sie war. »Das schmeichelt mir. Aber sagt mir, wenn Ihr so aufbraust, was wisst Ihr von meiner Zusammenkunft mit dem König?«
»Ich weiß, was ganz Paris weiß!«
»Und zwar?«, gab sie spitz zurück.
»Dass die kleine La Vallière, kaum dass sie bei Hofe ist, den König verführt, mit dem alleinigen Ziel, ihren Ehrgeiz zu befriedigen. Dass in Versailles vor kurzem ein amouröses Têteà-tête stattgefunden hat. Habt Ihr die Stirn, das Gegenteil zu behaupten?«
»Mein lieber Gabriel, von den Beziehungen zwischen den Mächtigen des Königreichs versteht Ihr rein gar nichts! Wer sagt Euch, dass die Begegnung
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