1664 - Die Schöne und die Grausame
ist es kein richtiges Theater, sondern ein etwas größerer Raum, der zu einer Schule gehört. Er befindet sich in einem Flachbau am Schulhof. Über dem Eingang wirst du ein Schild sehen, das darauf hinweist.«
Tim war überrascht. »Ja, spielt ihr denn heute Abend überhaupt, nach allem, was geschehen ist?«
»Warum nicht? Wir dürfen die Zuschauer nicht enttäuschen, die sich auf die Vorstellung gefreut haben.«
»Kann ich verstehen«, erwiderte er leise. »Und wie heißt das Stück, das ihr spielen wollt?«
»Die Schöne und die Grausame.«
»Oh…«
»Ist was?«
Tim musste schlucken. »Nein, nein, es ist alles okay. Ich werde kommen.«
»Ah - darauf freue ich mich«, erwiderte sie gedehnt. »Jetzt muss ich dir nur noch sagen, wohin du fahren musst.«
Er war nervös, und es fiel ihm schwer, Elena zuzuhören. Aber sie musste nicht viele Worte machen, das Ziel war schnell durchgesagt.
»Ich freue mich auf dich, Timmy.«
»Und ich mich auf dich.« Er hätte sich gern noch weiter mit ihr unterhalten, doch die Verbindung war nicht mehr vorhanden.
Tim Helling verfiel nicht in Hektik. Bei ihm trat das glatte Gegenteil ein. Er blieb vor seinem Schreibtisch sitzen, schaute ins Leere und versuchte, seine Emotionen unter Kontrolle zu bekommen.
Was er da erfahren hatte, das konnte kaum wahr sein.
Elena wollte ihn unbedingt sehen, also war er ihr nicht gleichgütig. Wahnsinn! Daran hätte er nie gedacht, dass sich die Dinge so entwickeln würden. Seine Gedanken drehten sich einzig und allein um Elena. Ihre Schwester Tabea hatte er vergessen. Daran wollte er sich nicht erinnern. Elenas Stimme hatte so ehrlich geklungen, und Tim glaubte fest daran, dass sie in ihn verliebt war. Da konnte diese Tabea sagen, was sie wollte.
Die Schöne und die Grausame. So hieß das Stück. Er fand, dass der Titel perfekt zu ihnen passte. Er wollte nur mit der Schönen etwas zu tun haben. Die Grausame verbannte er aus seinem Gedächtnis.
Ihm fiel ein, dass er sich ein Taxi bestellen musste. Bevor er das tat, dachte er an seine Chefin. Und für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, sie anzurufen und zu sagen, dass alles wieder in Ordnung war und er…
Ach, Unsinn!, dachte er. Purdy Prentiss war nicht seine Amme. Er wollte das allein durchziehen. Egal, ob seine Freundin eine böse Schwester hatte oder nicht. Wenig später war der Wagen bestellt, und die Anspannung in ihm wich einer grenzenlosen Vorfreude…
***
Elena King legte den Hörer auf die Gabel des alten Telefons. Sie stand im Halbdunkel. Nur ein Licht brannte und dessen Helligkeit wurde zum großen Teil von einem Vorhang verschluckt. Dahinter lag der Zuschauerraum. Ein recht großer Raum mit einigen Reihen Stühlen.
Dort, wo das Licht nicht voll hinreichte, hörte sie ein leises Lachen. Sie drehte sich um und sah den Umriss ihrer Schwester Tabea.
»Bist du zufrieden?«, fragte sie.
Tabea antwortete zuerst mit einem Lachen. Dann sagte sie: »Und wie ich zufrieden bin. Das hast du großartig gemacht, Schwesterchen. Er wird kommen.«
»Ja.«
»Und ich werde sein Blut trinken.«
Elena senkte den Kopf. Ihre Hände verkrampften sich, als sie sagte: »Du weißt auch, welches Opfer ich dir damit gebracht habe?«
»Wieso Opfer?«
»Ja, es ist ein Opfer. Davon lasse ich mich nicht abbringen. Ich bin nicht wie du. Ich habe mich verliebt. Ich bin ein Mensch, eine Frau, und die Liebe gehört zum menschlichen Dasein.«
»Meinst du wirklich?«
»Ja. Sonst hätte ich es nicht gesagt.«
»Aber wir gehören zusammen, Elena. Das darfst du niemals vergessen. Wir sind es doch, um die es geht, und nicht um irgendwelche anderen Personen. Wie oft muss ich dir das noch sagen? Außerdem kannst du mit deinem Freund zusammenbleiben.«
»Auch, wenn er ein Vampir ist?«
»Ja.«
»Aber ich bin ein Mensch. Menschen und Vampire passen nicht zusammen.«
»Hm, das kommt auf einen Versuch an.«
»Hör auf, bitte.«
»Willst du ihn schützen?«
Elena sagte nichts. Sie schaute in das grünliche Gesicht ihrer Halbschwester, in dem sich nichts regte. Sie war es nicht gewohnt, Gefühle zu zeigen.
»Ich warte auf eine Antwort, Elena.«
»Ist schon gut.«
»Ja, das sehe ich ebenso. Dann können wir ja weitermachen.«
Genau der Satz gefiel Elena nicht. »Sollen wir die Vorstellung nicht abbrechen?«
»Warum das denn?«
»Es ist heute ein besonderer Tag, das muss ich dir nicht erst sagen. Ich weiß nicht, ob ich die Nerven habe, mich vor ein Publikum zu stellen und zu spielen, als wäre
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