1667 - Gefangene der Pharaonen
Blick auf die große Bühne…
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Die Musik spielte noch immer, aber sie war noch leiser geworden, sodass sie nicht mehr ablenkte. Jeder konzentrierte sich auf die Szene, die aus dem alten Ägypten stammte. Sie war wirklich perfekt nachgebaut worden.
Da ich mich schon einige Male in diesem Land aufgehalten hatte, kam mir sofort in den Sinn, dass es sich bei dieser Dekoration um eine Grabkammer handelte. Die mit Hieroglyphen und Tierdarstellungen bemalten Wände, der braune Boden, die Säule, die die Decke stützte und der runde Tisch davor, auf dem ein Gegenstand lag, der wie eine Peitsche aussah.
Licht gab es auch. Allerdings musste man hier von einer indirekten Beleuchtung sprechen. Der Schein drang aus dem Mauerwerk und sammelte sich an einer Stelle, die man als Mittelpunkt der Bühne bezeichnen konnte.
Es war die Säule, aber nur die untere Hälfte, denn da kniete eine Frau, die an die Säule gekettet war. Die Glieder der Kette endeten an der Rückseite eines Rings, der um den Hals der Frau geschlungen war. Am anderen Ende war die Kette um die Säule geschlungen. Sie sah ziemlich echt aus. Die einzelnen Glieder funkelten sogar im Licht, und in meiner Nähe hörte ich einige Menschen heftig atmen. Ich konzentrierte mich auf die Frau. Natürlich hatte ich schon beim ersten Hinschauen erkannt, um wen es sich dabei handelte. Es war die Person, die sich vor mir so erschreckt hatte, als sie ins Restaurant gekommen war.
Sie war die Gefangene der Pharaonen!
Sie hockte da wie die Gäste in einem japanischen Restaurant. Die Beine ein-. geknickt,, wobei die Waden unter den Oberschenkeln vergraben waren.
Die Hände hatte sie in den Schoß gelegt. Der Blick war gesenkt und auf die nackten Knie gerichtet. Sie war nur mit einem sandfarbenen Oberteil bekleidet, das wie ein verkürzter Kittel aussah und an den Seiten hoch geschlitzt war. Unterwäsche war nicht zu erkennen. So musste man annehmen, dass die Frau unter dem Oberteil nackt war. Das schwarzbraune Haar umrahmte das Gesicht, doch es war zumindest an der linken Seite zurückgekämmt worden, sodass die Zuschauer das Profil der Gefangenen sahen. Sie saß da, als wäre sie in sich gegangen und hätte sich voll und ganz einer Meditation ergeben.
Noch war es auf der Bühne still. Nur im Zuschauerraum waren hin und wieder Geräusche zu hören, mal ein Hüsteln, dann das Flüstern von Stimmen und sogar ein leiser Lacher.
Das hörte auf, als die Musik einsetzte. Auch jetzt hatten sich unter die Melodie fremde Klänge gemischt, aber dieser Song war durchaus etwas für westliche Ohren, und dass es ein Song war, bewies die Gefangene an der Säule, denn sie fing an zu singen. Schon die ersten Töne schlugen zahlreiche Zuschauer in ihren Bann. Das war nicht unbedingt zu sehen, sondern einfach zu spüren. Ein wunderschönes Lied, zudem vorgetragen von einer Stimme, die einfach jeden Zuschauer berühren musste. Auch ich lauschte dem Gesang und konzentrierte mich zusätzlich auf den Text, der ebenfalls interessant War, denn die Gefangene besang ihr eigenes Schicksal. Dabei kam auch heraus, dass sie auf den Namen Cleo hörte und eine Prinzessin war, die in die Hände falscher Menschen geraten war. Soldaten eines mächtigen Gegners hatten sie geraubt und verschleppt und sie von der Seite ihres Geliebten gerissen. Der Mann hieß Namid und war ebenfalls gejagt worden, wobei Cleo nicht wusste, ob man ihn gefangen genommen hatte oder nicht.
In der zweiten Strophe sang sie von ihrem Feind, dem Hohepriester mit dem Namen Echem. Er war der große Bösewicht, der gegen den herrschenden Pharao opponierte und eine seiner Töchter in die Gewalt gebracht hatte, um ihn damit zu erpressen. Allmählich endete das Klagelied der Gefangenen. Dabei senkte sie den Kopf so tief, wie die Kette es zuließ. Erster Beifall brandete durch das Theater, was die Künstlerin zwar hinnahm, jedoch nicht reagierte, Sie blieb in ihrer demütigen Haltung sitzen und hob den Kopf erst an, als ein Geräusch erklang, das sich anhörte wie ein dumpfes Poltern.
Eine Tür wurde aufgerissen. Schwacher Schein drang von außen her in das Verlies. Es malte sich die Silhouette eines Mannes ab, der das Verlies mit schnellen Schritten betrat. Es war ein Diener oder Sklave, der ein Tablett auf beiden Händen trug und der Gefangenen etwas zu trinken brachte.
Vor ihr blieb er stehen. Den Tisch hatte er ignoriert. Er stellte das Tablett auf dem Boden ab und streichelte durch das dunkle Haar der Gefangenen. Cleo nickte dankbar,
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