1667 - Gefangene der Pharaonen
bevor sie nach der mit einem Getränk gefüllten Schale griff. Sie hob sie an und trank in durstigen Zügen. Dabei zeigte sie durchaus eine gute schauspielerische Leistung, denn wir als Zuschauer nahmen ihr den Durst ab. Wieder setzte Musik ein und untermalte die Szene. Es war so etwas wie ein Intermezzo, und ich spürte Sukos leichten Stoß an meiner fechten Seite.
»Und? Schon was entdeckt, das uns hätte misstrauisch machen sollen?«
»Bisher noch nicht.«
»Okay, aber es kann noch kommen.«
»Ja. Das Stück ist nicht für eine Person geschrieben worden, Ich denke, dass ihr Feind, der Hohepriester, bald erscheint und sich vorstellen wird.«
Meine Annahme war nicht so falsch, denn das Kommen dieser Gestalt deutete sich bereits durch die Musik an, die jetzt bedrohlicher klang. Man griff auch zu einem technischen Trick, denn diesmal brauchte sich keine Tür zu öffnen. Im Hintergrund der Bühne materialisierte sich eine große Gestalt.
Sie schwebte heran. Obwohl ihre Arme rechts und links des Körpers herabhingen, gab sie sich mächtig und imposant. Der Mann trug ein prächtiges Gewand, auf dem die Perlen und auch Edelsteine blitzten. Auf dem Kopf saß eine Haube, die mich ein wenig an einen Bienenkorb erinnerte. Aus den Ärmeln schauten Hände mit langen Fingern hervor, und der Lichtkreis, der auf den Hohepriester gerichtet war, nahm an Stärke zu, damit er deutlich zu sehen war.
Auch sein Gesicht.
Und das war sorgfältig geschminkt worden. Der Begriff eines düsteren Ausdrucks passte dazu. Wer in das Gesicht schaute, der konnte sich leicht fürchten.
»Er sieht perfekt aus«, meinte Suko.
»Stimmt.«
»Was hast du für ein Gefühl?«
»Lass uns mal abwarten.«
Der Hohepriester löste sich von seinem Platz und schritt auf die Gefangene zu. Sie hielt den Kopf weiterhin gesenkt. Erst als sie die Nähe des anderen spürte, hob sie den Blick an und schaute an dem Mann hoch. Zwischen ihnen herrschte Schweigen, sodass sich die Spannung noch steigerte, bis zu einem donnernden Paukenschlag, der die lastende Stille unterbrach.
Es war der Beginn eines Liedes, das man als Entree des Hohepriesters ansehen konnte. Er besang sich selbst. Er hob sich in den Himmel und war mit seinem Schicksal unzufrieden. Er sah sich als Mensch an, der eigentlich auf den Thron des Pharaos gehörte, den man ihm aber leider verweigert hatte.
Aber er wollte ihn sich zurückholen und hatte deshalb die Frau in seine Gewalt gebracht. Nur sie konnte den Pharao dazu bringen, auf seinen Thron zu verzichten. Die Musik nahm an Stärke zu, die Stimme auch. Es war zu hören, dass das Finale dicht bevorstand, und als es so weit war, da jagte der volle Bass des Sängers durch den Saal und ließ nicht wenige Zuschauer zusammenzucken oder sorgte bei ihnen für eine Gänsehaut.
Dann war es vorbei. Zuletzt hatte der Mann noch seine Arme zum Himmel gestreckt, um sie nun fallen zu lassen, wobei er sich vor dem Publikum verbeugte, das erst gar nicht klatschen wollte, weil es noch zu sehr unter dem Eindruck des Liedes stand. Als die ersten Zuschauer anfingen, war das wie ein Signal. Der Hohepriester stand im vollen Licht, und ich konzentrierte mich dabei auf sein Gesicht, das zu einem Lächeln verzogen war, auf mich aber den Eindruck einer bösen Grimasse machte…
Der Beifall ebbte ab, und Suko flüsterte mir zu: »Das war schon beeindruckend.«
»Du sagst es.«
Auch Shao und Jane flüsterten miteinander, während ich mich wieder auf das Geschehen konzentrierte, das vor mir ablief, denn der Hohepriester hatte seine starre Haltung aufgegeben und drehte sich nach links.
Er hatte ein Opfer gefunden. Schräg vor Cleo blieb er stehen, aber so, dass jeder ihn sehen konnte. Er nickte der Gefangenen zu und fragte: »Hast du es dir überlegt?«
Langsam hob sie den Kopf. »Was sollte ich mir überlegt haben?«
»Dass ich der echte Pharao bin und mir der Thron gehört. Der jetzt herrscht, ist der Falsche.«
»Nein, das stimmt nicht.«
»Du willst mich anlügen?«
»Es ist keine Lüge, ich weiß es besser, viel besser!«
Der Hohepriester lachte auf. Er musste es tun, bevor er nach der Peitsche griff. Er hob sie an, drehte sich dem Publikum entgegen und schwang sie.
»Ich werde ihr beweisen, was dabei herauskommt, wenn sie mich anlügt.«
Er drehte sich erneut der Gefangenen zu, die ihren Blick angehoben hatte und ihn flehend anschaute.
Das war schon ein wenig hart für ein Musical. Zwar gab es dort auch Mord und Totschlag, da musste ich nur an die West
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