1667 - Gefangene der Pharaonen
Sie hatte den letzten Satz geschrien, und sogar Speicheltropfen lösten sich von ihren Lippen.
Ich behielt die Ruhe. »Es ist nicht nur wichtig für Sie, sondern auch für mich.«
»Sie machen mir Angst.«
»Warum? Ich tue Ihnen nichts.«
»Doch, doch. Sie machen mir Angst.« Beide Hände drückte sie gegen ihre Schläfen.
»Sie sind wieder da. Ich spüre sie. Wie schon bei der ersten Begegnung. Und wie in den Nächten. Sie hatten Kontakt mit mir. Sie sind nicht tot. Sie leben.«
»Darf ich fragen, von wem Sie sprechen?«
»Das müssen Sie doch spüren.«
»Nein, wirklich nicht.«
»Die Geister«, flüsterte sie. »Die Geister der Toten. Der alten Mumien. Sie bewegen sich nicht. Sie liegen unter dem Sand vergraben. Aber sie sind nicht tot. Das weiß ich - und Sie, Sie haben sie wieder erweckt. Sie und andere.«
»Da täuschen Sie sich, Cleo. Ich habe niemanden erweckt. Das kann ich Ihnen schwören.«
»Nein, Sie lügen.«
»Aber warum?«
»Ich habe sie doch gesehen«, flüsterte sie. »Sie haben mich verfolgt. Sie wollten mich, und jetzt haben sie mich auch bekommen. Es ist so weit. Meine Zeit ist reif.«
»Das bilden Sie sich ein, Cleo. Ihre Zeit ist bestimmt noch nicht gekommen.«
»Doch, das ist sie.«
Ich stand vor einem Rätsel, das auch Suko nicht lösen konnte, wie ich von seinem Gesicht ablas. Wir waren plötzlich in etwas hineingeraten, bei dem wir den Überblick verloren hatten. Wir wussten nicht, was diese Frau quälte, doch es gab keinen Zweifel, dass sie litt.
Suko hatte einen neuen Weg gefunden.
»Hat es etwas mit Echem zu tun?«, fragte er. »Kann man das so sagen? Ist das, was auf der Bühne passiert, nicht alles nur ein Spiel, sondern auch Ernst?«
»Echem?«, hauchte sie.
»Ja, der Hohepriester.«
»Ich weiß es nicht. Er ist mächtig, sehr mächtig sogar. Er ist nicht der, der erscheint.«
»Wer ist er dann?«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Cleo, deren Gesicht jetzt von Schweiß bedeckt war. »Ich habe Angst vor ihm. Er ist auch in der Wirklichkeit mein Aufpasser.«
»Warum?«, fragte Suko.
»Das weiß ich nicht. Er hat mir nur gesagt, dass ich sehr wichtig für ihn und die Welt bin.«
»Für die Welt auch?«
»Ja…«
»Dann würden wir gern den Grund hören.«
Cleo überlegte. Sie drückte ihren Körper gegen den Rand des Schminktisches und warf der Maskenbildnerin einen Blick zu, die aber nichts für sie tun konnte. Starr wie eine Puppe saß Susan auf ihrem Stuhl. Für sie war das alles zu hoch. Aber auch noch für mich. Ich ging davon aus, dass diese Frau ein Geheimnis mit sich herumtrug. Aber was konnte so wichtig für die Welt sein?
»Bitte, Cleo, wir möchten von Ihnen gern eine Antwort haben. Das können Sie doch - oder?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. Sie hatte sich im Gesicht verändert. Sie sah so aus, als würde sie etwas sehen, das nur ihr bekannt war.
Und dazu gehörte auch das Hören, denn sie presste beide Hände gegen ihre Ohren.
»Was haben Sie?«, rief ich laut.
Cleo hatte mich gehört. Noch sagte sie nichts, sondern schwankte von einer Seite zur anderen. In ihrem Kopf musste etwas vorgehen, das von ihr Besitz ergriffen hatte.
»Sie sind wieder da. Ich will sie nicht sehen, aber sie sind da!«
»Wer?«
Die Arme sanken nach unten. »Geister«, flüsterte sie. »Geister, Götter, Dämonen, Gesichter. Ich sehe sie. Ich kann sie hören. Sie wollen mich. Sie haben mich. Sie sind geschickt worden. Sie wollen mein Geheimnis, ich weiß nichts…«
Das war nicht gespielt. Ich sah, dass Suko mir einen sorgenvollen Blick zuwarf. Und der war nicht grundlos, denn jetzt bekam Cleo den Angriff aus der unsichtbaren Welt voll mit.
Noch mal schrie sie auf.
Dann fiel sie in sich zusammen, und es war ihr Glück, dass Suko sie auffing…
***
Echem spürte den Hass, der in ihm hochgestiegen war. Schon auf der Bühne war er von ihm überfallen worden, denn er hatte genau gespürt, dass es jemanden gab, der nicht weit von ihm entfernt saß und nur ein Feind sein konnte.
Etwas hatte ihn angegriffen. Etwas, das er hasste und als Waffe gegen sich selbst betrachtete. Es war nicht unbedingt die Person, mehr ein Gegenstand, den diese Person am Körper trug. Er sah ihn nicht nur als gefährlich an, sondern sogar als tödlich, wenn er zu nahe an ihn herankam.
Zum Glück waren die Arien vorbei. Das Bühnenbild hatte sich verändert. Das Ballett musste zugleich den Chor spielen. Ihre körperlichen und gesanglichen Leistungen standen im Vordergrund, sodass
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