1668 - Wolfsnacht
Lippen und schaute sich gleichzeitig um. »Ich habe keinen gesehen und denke darüber nach, ob sie wirklich uns wollten oder eine andere Person.«
»Du meinst Helen Winter?«
»Wen sonst?«
Das lag auf der Hand. Sie war jedenfalls nicht zu sehen. Zumindest nicht außerhalb der Mühle. Wir wollten sicher sein und gingen auf die Mühle zu. Zumindest ich hatte noch unter den Nachwirkungen des Nackenschlags zu leiden. Mein Gang war alles andere als forsch. Ich hatte das Gefühl, mehr über den Boden zu schleichen.
Den Vortritt ließ ich Suko, der die Mühle betrat. Er holte sogar seine Leuchte hervor und strahlte die Umgebung ab, aber von Helen Winter sahen wir nichts. Das musste auch ich feststellen, als ich in der offenen Tür auf der Schwelle stand.
»Es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn wir sie hier gefunden hätten«, sagte ich.
»Helen ist abgeholt und wegtransportiert worden.«
»Und das von einem Werwolf«, sagte Suko.
»Genau.«
Wir fühlten uns an der Nase herumgeführt, wenn man es genau nahm. Der Werwolf oder wer immer er auch war, wollte die Frau. Ich ging davon aus, dass er sie nicht unbedingt töten oder reißen wollte, wie es diese Geschöpfe normalerweise taten. Das hier war nach einem bestimmten Plan abgelaufen. Ich nahm an, dass ihr Entführer etwas Bestimmtes mit ihr vorhatte.
Aber wohin hatte er sie geschafft?
Über diese Frage brauchte ich mit Suko gar nicht erst zu diskutieren, denn die Lösung lag auf der Hand. Sie war sogar sichtbar, da brauchten wir nur zum Schloss hinauf zu schauen. Das taten wir, als wir die Mühle wieder verlassen hatten. Suko lächelte knapp, bevor er nickte und mir dabei eine Frage stellte. »Etwas haben unsere Feinde vergessen«, sagte er. »Und was?«
Er zog seine Beretta und zeigte sie mir. »Ich habe meine Waffe noch. Und was ist mit dir?«
Ich musste sie gar nicht erst ziehen. Den Druck spürte ich vertraut an der linken Seite.
»Du hast recht, Suko. Da hatte es jemand ziemlich eilig.«
»Und das haben wir jetzt auch, denke ich. Ich habe schon lange keinem Schloss mehr einen Besuch abgestattet…«
***
Er hatte die Frau. Er hatte seine Beute. Er hatte genau das, hinter dem er her gewesen war. Er war glücklich damit. Dass Helen Winter schwer über seiner linken Schulter lag, machte Igor nichts aus. Er war nicht nur kräftig, er war auch stark, und er wusste, dass es nicht mehr weit bis zu seinem Ziel war.
Das Schloss lag über ihm. Der Weg führte nicht mal steil bergan. Igor ging mit seiner Beute durch eine noch winterliche karge Landschaft. Die Natur wartete erst darauf, richtig explodieren zu können. Dann würde das helle Grün erscheinen und Ginster sowie Magnolienbäume ihre Farbenpracht zeigen.
Es war kein großes Schloss. Ein Gemäuer, das schon seine Jahre auf dem Buckel hatte. Einen Turm gab es auch, aber keine großen Schutzwälle oder Zugbrücken, über die das Schloss erreicht werden konnte. Auch nach einem Innenhof hielt man vergeblich Ausschau. Das breite Tor ließ ein direktes Betreten des Schlosses zu. Für Boris, Igors Vater, war das Gemäuer der ideale Zufluchtsort gewesen. Sie hatten aus dem Haus ihrer Väter fliehen müssen. Das alte Vermögen, das aus früheren Zeiten noch vorhanden war, hatten die Baranovs vor den gierigen Händen des Staates in Sicherheit gebracht und so angelegt, dass sie leicht an das Geld kamen. Das Gold hatten sie in den tiefen Schließfächern einer Schweizer Bank gelassen. Es war so etwas wie eine Reserve für später.
Igor musste seinem Vater zustimmen, der gesagt hatte: »Wenn du viel Geld hast, kannst du überall in der Welt leben. Da wird man dir kaum Fragen stellen.«
So war es bisher gewesen. Was die Menschen in den umliegenden Dörfern über die neuen Besitzer des Schlosses dachten, interessierte keinen aus der Familie, und Igor hatte zudem das gefunden, was er suchte - eine Frau.
Er brauchte sie. Sie spielte in seinen Plänen eine große Rolle. Noch immer hing sie über seiner Schulter. Und Igor war letztendlich froh, die letzten Schritte gehen zu können. Allmählich wurde die Last doch unbequem. Die leichte Steigung lief aus. Die letzten Schritte legte er normal zurück. Die Tür hatte er im Blick, aber er wollte seine Beute nicht in das Schloss schleppen. Er ließ sie von der Schulter rutschen und stellte sie auf den Boden.
Das heißt, er hatte es vor, aber Helen rutschte ihm weg, und er musste sie festhalten. Das wollte sie nicht, schüttelte den Kopf und ging einen Schritt von ihm
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