1672 - Die Insel
Strömungen gerechnet werden muss. Da brauchten wir in diesem Fall keine Angst zu haben, denn das Schlauchboot hatte nur wenig Tiefgang und irgendwelche Felsspitzen schauten auch nicht aus den Wellen hervor. Lucy sorgte dafür, dass die Geschwindigkeit gesenkt wurde. Das langsame Fahren brachte uns an die ersten Ausläufer des Nebels heran. Um unser Boot herum gurgelte das Wasser, schäumte auf, und wieder wurden wir von irgendwelchen Spritzern getroffen. Die Wellen waren hier in wilde Bewegungen geraten. Sie schmatzten, sie schäumten, sie glitten an den Bordwänden hoch oder brachten das Boot zum Schaukeln. Weder Suko noch mir war übel geworden. Wir konzentrierten uns allein auf die Insel, die wir in kurzer Zeit betreten würden, so hoffte ich.
Noch befanden wir uns in der Nebelwelt und nach einer Weile gelang es uns, das zu sehen, was hinter dem Ring aus Dunst lag.
Das musste die Wand aus Gebeinen sein. Eine helle Farbe war dabei nicht zu sehen, alles in unserer Nähe wirkte düster und schon unheimlich. Entfernungen waren schlecht zu schätzen, aber schon jetzt war zu sehen, dass die Wand vor uns Löcher aufwies. Sie waren sogar sehr groß und wirkten wie die Eingänge zu Höhlen.
Auch Suko hatte sie gesehen. Er stieß mich an und fragte: »Weißt du, was da vor uns liegt?«
»Ich kann es mir denken. Wenn die Insel tatsächlich auf einem riesigen Totenschädel steht, dann könnten das unter Umständen die beiden Augenlöcher sein.«
»Richtig. Und sie sind ziemlich groß.«
»Du meinst, wir passen hindurch?«
»Genau. Das müssen wir sogar, denn es gibt hier sonst nichts, wo wir anlegen könnten.«
Da hatte er leider recht.
Ich drehte mich um, damit ich unsere Steuerfrau anschauen konnte. Sie saß noch immer auf ihrem Platz. Ihr Gesicht sah aus wie in Stein gemeißelt und sie hörte meine Bemerkung.
»Es gibt wohl keinen anderen Platz, wo wir anlegen können. Oder wissen Sie…«
Lucy ließ mich nicht ausreden. »Nein, das weiß ich auch nicht. Die Insel hat sich verändert. Sie ist jetzt auch für mich Neuland.«
»Aber Sie haben die beiden Öffnungen gesehen?«
»Klar.«
»Welche nehmen wir?«
Da musste sie lachen. »Suchen Sie sich eine aus. Mal sehen, wo die Wellen uns hintreiben.«
»Schon gut.« Ich hatte das Gefühl, dass ihre Sicherheit nur gespielt war, denn die Stimme hatte bei ihrer Antwort gezittert. Auch ihr Blick war leicht unstet geworden. Es konnte sein, dass sie die Fahrt bereits bereute.
Der Nebel umgab uns wie ein feuchtes Tuch, das nicht abreißen wollte. Wellen klatschten gegen die breite Vorderseite des riesigen Totenschädels und das Wasser gurgelte durch die beiden Augenhöhlen in das Innere.
Wir kamen den Eingängen immer näher. Jetzt musste sich Lucy McMillan entscheiden, welchen sie nehmen wollte, und sie lenkte das Boot auf den rechten zu. Das merkte auch Suko. »Dann wollen wir uns mal auf etwas gefasst machen!«, sagte er und nickte mir zu.
»Worauf?«
»Nun ja, ich denke da an einige Piraten, die nicht haben sterben können oder wollen. Ist ja nichts Neues für uns.«
»Stimmt. Nur die Umstände sind andere.«
Die Öffnung war zwar groß genug, aber es war nicht so einfach, hineinzufahren. Das Wasser drängte sich davor zusammen und wurde zu einer reißenden Strömung, die uns schließlich erfasste und das Boot leicht drehte. Es hatte keinen Sinn, wenn dagegen gesteuert wurde. Die anderen Kräfte waren zu stark und sie zogen uns in den Totenschädel hinein…
***
Ich wusste nicht, ob Lucy und Suko den Atem anhielten, bei mir jedenfalls war es so. Ich rechnete damit, angegriffen zu werden. Ich hatte mein Kreuz offen vor die Brust gehängt, in der Hoffnung, unsere Gegner damit in die Schranken weisen zu können. Lucy hatte den Motor abgestellt. Wir überließen uns der Strömung, die uns tiefer die Höhle schob.
Nur langsam glitten wir weiter. Die Dunkelheit nahm immer mehr zu. Es wurde zwar nicht stockfinster, doch ein Überblick, wie groß diese Höhle war, gelang uns nicht mehr.
Das Wasser hier hatte sich beruhigt, trotzdem lagen wir nicht still. Unser Schlauchboot drehte sich langsam auf der Stelle.
»Ziel erreicht«, sagte ich zu Lucy McMillan. »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sind Sie denn zufrieden?«
»Darüber habe ich nicht nachgedacht. Ich muss es wohl sein, oder sehen Sie das anders?«
»Schon«, gab ich zu. »Eigentlich habe ich auf die Insel gewollt und nicht in einen Fremdkörper.«
»Es ging nicht
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