1684 - So grausam ist die Angst
und auch seinem Blick war nicht zu entnehmen, was er dachte.
Ich wollte das Schweigen brechen, als er eine überraschende Aussage machte. Seine Stimme klang recht fest. Beim Sprechen bewegte sich die faltige Haut um seinen Mund herum.
»Euch habe ich auf dem Friedhof gesehen.«
Nur diesen einen Satz sagte er, um dann abzuwarten, wie unsere Reaktion ausfiel.
Keiner der Anwesenden tat etwas. Ob uns auch die anderen hier Versammelten gesehen hatten, stand in den Sternen. Jedenfalls sahen wir kein zustimmendes Nicken.
»Gut beobachtet!«, erklärte Suko schließlich. »Wir sind tatsächlich in der Nähe gewesen.«
Der Weißhaarige lächelte. »Und warum sind Sie jetzt zu uns gekommen?«
Jetzt musste die Wahrheit gesagt werden, und wir waren gespannt, wie die Menschen reagieren würden.
»Wir suchen jemanden, mit dem wir unbedingt sprechen müssen, und wir denken, dass Sie uns weiterhelfen können. Es ist Darco Uvalde, der Schamane.«
Jetzt war es heraus, und ich hatte das Gefühl, dass die Spannung stieg. Die Anwesenden hielten den Atem an und überließen dem Weißhaarigen die Antwort.
Er hielt sich zunächst zurück. Sein Blick wanderte über die versammelten Menschen hinweg. Er sah sie an und schaute in Gesichter, die Überraschung, Neugier und auch Abwehr zeigten.
»Kennt ihr ihn?«
Der Sprecher deutete ein Nicken an. »Ja, wir kennen ihn. Wir haben ihn geholt. Er ist jemand, der für uns ein Stück Heimat bedeutet. Er hat die alten Zeiten nicht vergessen. Er kennt die Rituale unseren Ahnen und er ist immer da, wenn wir ihn brauchen. Besonders auf der Beerdigung. Er hat mitgeholfen, der Seele der Verstorbenen den Weg ins Jenseits zu ebnen, und dafür sind wir ihm dankbar. Darco Uvalde wird dafür sorgen, dass es Tamara gut geht.«
»Dann bleibt er mit ihr in Kontakt?«, fragte ich und hatte diese Frage wie nebenbei gestellt.
»Das ist so vorgesehen. Sie war noch zu jung zum Sterben, und wir wollten auch nicht für immer Abschied nehmen. Darco Uvalde ist ein besonderer Mensch. In ihm sind noch die alten Anlagen vorhanden. Er besitzt eine große Macht. Die Geister haben es gut mit ihm gemeint. Er ist uns allen über.«
»Das heißt …« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich will es anders formulieren. Es heißt, dass ein Schamane Gewalt über die Geister bekommen kann. Dass er sie manipulieren kann. Dass sie ihm gehorchen und sich seinem Willen beugen müssen. Ist das so?«
»Wenn er die Kraft dazu hat.«
»Hat er die?«
»Wir hoffen es.«
Ich deutete auf das, was als Altar aufgebaut worden war. Ich sah nicht nur die Lebensmittel, sondern auch das Blut und wollte wissen, wer oder was da geopfert war.
Ein jüngerer Mann sprang auf. Sein Gesicht war hochrot geworden. In seinen dunklen Augen blitzte Wut. »Es reicht mir jetzt mit eurer Fragerei. Juri hat euch schon zu viel gesagt. Ihr seid hier fremd. Ihr gehört nicht zu uns. Lasst uns in Ruhe! Wir können auf eure Besuche verzichten.«
Suko hob beide Arme. Die Handflächen drehte er nach außen.
»Das stimmt schon. Dagegen haben wir auch nichts. Aber was hier ablief, ist nicht normal, und wir sind gezwungen, uns darum zu kümmern.« Er stellte mich und sich vor und erklärte auch, wer wir waren.
Als der Begriff Scotland Yard fiel, ging so etwas wie ein Raunen durch ihre Reihen. Erst zuckten sie zusammen, dann saßen sie still. Bis der weißhaarige Juri wieder das Wort übernahm und erklärte, dass sie nichts Unrechtes getan hatten.
»Es gehört zu unseren alten Riten. Es ist unsere Religion, und sie ist älter als die eure.«
»Das mag sein«, sagte ich, »dennoch sind wir an Darco Uvalde interessiert. Er hat sich mit einer bestimmten Person in Verbindung gesetzt und wir wollen wissen, warum er das getan hat.«
»Das ist ganz einfach.«
»Dann sagen Sie es uns, Juri.«
»Er meint es nur gut. Darco ist ein wahrer Meister. Er hat Einfluss auf die Geister und Gewalt über sie. Er ist in der Lage, sie zu beherrschen, zu bannen oder herbeizuholen. Nicht alle, das gebe ich zu, aber es reicht aus. Er kann zu denen gehören, die er beeinflusst. Er ist in der Lage, seine Seele aus dem Körper austreten zu lassen, und überlässt den Geistern seinen Körper. Die Seele kann auf Reisen in die Anderswelt gehen und sein Körper gehört dem Geist.«
»Der nicht unbedingt gut sein muss«, sagte Suko.
»Das streite ich nicht ab. Und ich sage auch nicht, dass nicht jeder Schamane so etwas schafft. Man muss schon zu den ganz Großen auf diesem Feld
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