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1684 - So grausam ist die Angst

1684 - So grausam ist die Angst

Titel: 1684 - So grausam ist die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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»Haben sie doch den Schamanen geholt?«
    »Ja, er stand dicht am Grab und führte seine Beschwörungen durch. Für uns ein wenig fremd.«
    Die anderen Frauen hörten nur zu. Manche von ihnen hatten sogar die Hände gefaltet. Die Geste besagte, dass sie dem Schamanenzauber nicht eben positiv gegenüberstanden.
    »So angenehm die Chakows auch sind«, sagte die alte Frau, wobei sie den Kopf schüttelte, »den alten Aberglauben konnten wir ihnen nicht austreiben. Sie haben immer noch am dem gehangen, was ihre Vorfahren ihnen mit auf den Weg gaben. Unsere Generationen waren immer in der orthodoxen Kirche fest verwurzelt. Wir konnten und können mit den Naturgeistern nichts anfangen. Aber die Chakows waren nicht zu belehren. Zumindest die Alten nicht. Wie es sich mit den Jungen verhält, weiß ich nicht. Ich hoffe, dass sie diesen Irrweg verlassen. Man kann nur immer darum beten.«
    »Und die Familie ist jetzt zu Hause?«, fragte Suko.
    »Ja. Sie haben sich mit einigen Freunden zu einem Mahl versammelt.«
    »In der Wohnung?«
    »Nein. Zu unseren Häusern gehört so etwas wie ein Gemeinschaftsraum. Dort können wir uns treffen und feiern. Ich weiß, dass die Chakows heute dort sind.«
    »Danke sehr. Und wo finden wir den Raum?«
    »In Haus drei. Die Türen stehen wegen der Hitze überall offen. Gehen Sie hinein und dann nach links. Es gibt dort einen Wegweiser. Sie können den Raum nicht verfehlen.«
    »Danke sehr.«
    Die Frauen nickten und kümmerten sich wieder um ihre eigentliche Aufgabe, der Beobachtung ihrer Enkel und Kinder.
    »Scheinen Außenseiter zu sein, die Chakows«, sagte Suko, als wir uns auf den Weg gemacht hatten.
    »Das sehe ich auch so. Aber es gibt noch immer Menschen, die an den heidnischen Traditionen festhalten, was ja nicht schlecht sein muss, wenn man die richtige Seite wählt.«
    »Du sagst es.«
    Wir hatten bereits gewählt, nämlich das Haus mit der Drei an der Fassade. Man hatte die Tür festgestellt, damit sie nicht zufiel.
    Im Flur herrschte leichter Durchzug, aber der Wind kühlte nicht, er war warm. Wie den Atem aus einem sich langsam abkühlenden Ofen wehte er in unsere Gesichter.
    Wir wandten uns nach links, sahen auch den Pfeil, dem wir nur zu folgen brauchten. Vor einer geschlossenen Tür blieben wir stehen. Dahinter war das Gemurmel von Stimmen zu hören und ich nickte Suko zu, der bereits eine Hand auf die Klinke gelegt hatte.
    Wenig später war die Tür offen. Das Stimmengemurmel wurde lauter, und wir schoben uns in den kleinen Saal hinein, in dem die Tische an die Wand gestellt worden waren, damit man Platz für die Stühle hatte, die in der Mitte des Raumes einen Kreis bildeten. Jeder Stuhl war besetzt, und die Konzentration der Menschen galt dem, was sich in der Mitte befand.
    Ich dachte zuerst an ein Lagerfeuer, das noch angezündet werden sollte. Da irrte ich mich. Wir schauten über die Köpfe der Leute hinweg und sahen auf dem Boden einige Gaben liegen.
    Obst, Getreide, auch Fleisch und Kartoffeln. Das wäre für mich noch normal gewesen, aber über die Gaben liefen rote Streifen, und das war bestimmt keine Farbe, sondern Blut. So musste man davon ausgehen, dass hier ein Opferritual stattfand.
    Alle Anwesenden wurden davon in Bann gezogen. So hatten sie unser Eintreten nicht bemerkt. Ihre Aufmerksamkeit galt einzig und allein der Mitte des Kreises.
    Mal sprachen sie gemeinsam, mal wurde einzeln gesprochen. Wir verstanden davon nichts. Das konnte die alte Sprache der Tungusen sein, die in den Jahrhunderten nicht vergessen worden war.
    Wir waren gekommen und wollten nicht ohne Antworten verschwinden. Deshalb mussten wir stören. Allerdings wollten wir das nicht laut und plötzlich tun, sondern recht dezent, und es begann mit einem leichten Räuspern meinerseits.
    Das hörte niemand.
    Ich wurde lauter und sagte dann: »Ich möchte mich für unser Eindringen entschuldigen, aber auch wenn es Ihnen schwerfällt, wir müssen für einen Moment um Ihr Gehör bitten.«
    Das wirkte. Als hätten die Menschen einen knappen Befehl erhalten, verstummten sie. Und wenig später waren alle Augen auf uns gerichtet. Wobei niemand etwas sagte, sodass eine bleierne Stille entstanden war. Niemand schaute uns offen und freundlich an. Bei einigen konnte man sogar von einem bösen Blick sprechen.
    Uns beiden war nicht sehr wohl. Die Zeit schien eingefroren zu sein. Es war auch nichts zu hören, bis sich ein Mann mit schlohweißen Haaren bewegte und sich aufrecht hinsetzte. Er fixierte uns, sprach nicht,

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