1684 - So grausam ist die Angst
eingespielt, dass wir uns auch ohne Worte verstanden. Dennoch streckte er seinen rechten Zeigefinger aus und deutete auf meine Brust.
»Ja«, sagte ich leise.
Die Leute hatten uns beobachtet und waren überrascht, dass wir nicht gingen. Es war wieder der Weißhaarige, der das Wort übernahm.
»Warum geht ihr nicht? Haben wir uns nicht deutlich genug ausgedrückt?«
»Das habt ihr«, erwiderte ich. »Es ist nur nicht mehr nötig, dass wir Darco Uvalde suchen. Er ist nämlich hier. Ja, er ist bereits unter uns …«
Meine Worte waren eingeschlagen wie die berühmte Bombe. Plötzlich wurde es still. Und es war eine besondere Stille, die von einer atemlosen Spannung überdeckt wurde.
»Aber wo ist er?«, flüsterte eine Frau. Dabei legte sie die Handflächen gegeneinander, als wollte sie beten.
»Er befindet sich in einer anderen Sphäre. Noch nicht sichtbar, was sich bestimmt bald ändern wird.«
»Das sagen Sie nur!«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Juri, das sage ich nicht nur so. Sie sollten das am besten begreifen. Ich habe ihn gespürt, und ich weiß, dass ich mich nicht irre.«
Der Weißhaarige sagte nichts mehr. Er unterdrückte seine Fragen und wartete, was weiter geschehen würde. Alles blieb normal, bis eben auf die Warnung meines Kreuzes. Ich ging davon aus, dass sich der Schamane in einer bösen Phase befand.
Die Menschen saßen auf ihren Stühlen, ohne sich zu rühren. Möglicherweise warteten sie auf den Beweis, und den bekamen sie schon bald, denn einer von ihnen reagierte völlig anders. Es war Tamaras Bruder, der aus seiner starren Haltung in die Höhe sprang und dann starr stehen blieb.
Er stierte nach vorn, sah aber niemanden an und bewegte nur seine Lippen. Auch in der Stille war kein Laut zu hören. Er hatte Kontakt mit dem Schamanen, das stand für uns fest, doch dieser Kontakt war auf einem anderen Weg erfolgt als normal.
Auch Suko war dies aufgefallen. »Ich denke, wir sollten uns um ihn kümmern.«
»Finde ich auch.«
So dachte auch Juri. Mit halblauter Stimme gab er dem Jüngeren einen Befehl.
»Setz dich wieder hin, Sascha.«
»Nein!«
»Du sollst dich setzen!«
»Ich will nicht! Ich kann nicht!«
Juri wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. In dieser Situation war er überfordert, und Sascha zeigte, dass es erst der Anfang war. Mit einer heftigen Bewegung trat er nach hinten aus, traf den Stuhl, der zu Boden fiel.
Sascha hatte plötzlich das Kommando übernommen und war innerlich gestärkt worden. Mit einer heftigen Bewegung schüttelte er den Kopf, sodass sein dichtes schwarzes Haar dabei in die Höhe flog.
Danach drehte er sich mit einer scharfen Bewegung um. Er hatte sich ein Ziel ausgesucht. Vielleicht war es ihm auch ausgesucht worden, denn das Ziel waren wir.
Er starrte uns an.
Bisher hatten wir einen normalen jungen Mann erlebt. Das war nicht mehr der Fall. Es gab die äußere Hülle noch, aber im Innern hatte er sich verändert. Da war er übernommen worden und musste auch bestimmte Befehle erhalten haben, denn er blieb nicht stehen. Mit einer schnellen Bewegung ging er um seinen umgekippten Stuhl herum.
»Das sieht nicht gut aus«, murmelte Suko.
»Du sagst es.«
Sascha sagte kein Wort. Er handelte nur, und er tat das, was ihm eine andere Macht befahl. Er bewegte seinen rechten Arm, winkelte ihn an und seine Hand verschwand für einen Moment unter dem Jackett. Als sie wieder zu sehen war, umklammerten die Finger den Griff eines Messers mit breiter Klinge.
Man musste davon ausgehen, dass es sich dabei um das Opfermesser handelte. Auf dem Stahl waren noch dunkle Flecken zu sehen, wahrscheinlich das Blut des Huhns.
Suko ging nach rechts, ich nach links. Auf einen von uns musste er sich konzentrierten.
Eine Frauenstimme rief schrill seinen Namen. Wahrscheinlich sollte er gestoppt werden, aber Sascha kümmerte sich nicht darum. Er wollte uns, und er wollte unseren Tod.
Erneut bewegten sich seine Lippen. Abermals war nichts zu hören, nicht mal das leiseste Zischen. Dafür hatte er seine Augen verdreht, und plötzlich sprang er vor. Er hatte sich für keinen von uns entschieden. Auf dem Weg nach vorn zuckte seine rechte Hand hin und her. Es war nicht zu sehen, ob er von oben oder von unten zustoßen würde. Die Entscheidung würde er im letzten Moment treffen, aber so weit war es noch nicht.
Suko griff ein.
Er war plötzlich nicht mehr in seiner vollen Größe zu sehen. Er lag auf dem Boden, aber da blieb er nicht liegen, denn er stieß sich ab und
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