1684 - So grausam ist die Angst
ihrem Gesicht hin und her, als wollte er ihre Lippen vereisen.
»Bist du traurig?«
Rosy hob die Schultern.
»Das solltest du aber sein. Schließlich hast du deine beste Freundin verloren.«
»Daran kann ich nichts mehr ändern.«
»Das denkst du. Aber es gibt auch Personen, die eine andere Meinung haben.«
»Du. Ich weiß.«
»Sehr richtig.«
»Und was willst du jetzt von mir?«
»Das ist einfach, ich möchte dir dein Alleinsein ersparen. Deshalb bin ich gekommen.«
Beinahe hätte sie gelacht. Im letzten Moment riss sie sich zusammen. Sie wollte ihren Besucher nicht provozieren und sagte nur: »Ich werde mich daran gewöhnen müssen.«
»Nicht unbedingt.«
»Wieso nicht?«
»Das werde ich dir gleich sagen. Zunächst einmal möchte ich von dir einige Auskünfte haben.«
»Ich weiß nichts.«
»O doch, du weißt mehr, als du denkst. Ich rede von den beiden Männern auf dem Friedhof. Und jetzt möchte ich von dir wissen, wer sie waren.«
»Leute, die an einer Beerdigung teilgenommen haben.«
»Das weiß ich selbst. Ich habe nur gespürt, dass der Blonde der beiden, der sich mir als John Sinclair vorgestellt hat, etwas Besonderes ist. Er steht – das habe ich festgestellt – unter einem starken Schutz. Ich bin nicht an ihn herangekommen. Er hat etwas bei sich, das mich stört. Und ich will von dir wissen, was es ist.«
Mit dieser Fortführung des Gesprächs hatte Rosy im Leben nicht gerechnet. Sie war völlig überrascht, denn an dem blonden Yard-Beamten hatte sie nichts gesehen. Keine Waffe oder einen ähnlichen Gegenstand, der als eine solche eingesetzt werden konnte.
»Ich kann dir nichts sagen. Ich weiß nicht, wovon du redest. Das ist mir alles fremd.«
»Denke nach!«, flüsterte die Stimme.
»Das habe ich schon. Ich kann mich an nichts erinnern.«
Eine Weile blieb es still. Dann hörte sie noch mal seine Stimme.
»Wir sehen uns wieder, Rosy. Denk daran, dass du dich nicht vor mir verstecken kannst. Es ist für einen Menschen immer von Vorteil, wenn er sich mit einem Schamanen gut stellt. Freu dich auf die nahe Zukunft, denn nicht alles, was unter der Erde liegt, ist auch für immer tot und vergessen. Bis bald.«
Rosy spürte noch mal den kalten Hauch, der über ihr Gesicht strich, dann war sie allein, taumelte auf das Bett zu, setzte sich auf die Kante und vergrub ihr Gesicht in beide Hände …
***
Die Häuser standen in einem Block zusammen, der ein offenes Viereck bildete.
Ein Spielplatz war auch angelegt worden. Er lag den Häusern gegenüber und war bei diesem Wetter natürlich besetzt. Frauen unterschiedlichen Alters hockten am Rand und schauten den Kindern zu, die im Sand und auf den Klettergeräten ihren Spaß hatten.
Wir konnten auf einem schmalen Streifen dicht am Rand des Sportplatzes parken.
Über einen schmalen, staubtrockenen Pfad erreichten wir die mit Frauen besetzten Bänke. Wir hatten schon gehört, dass sie sich in einer osteuropäischen Sprache unterhielten.
Wir grüßten freundlich und sahen mehrere Blicke auf uns gerichtet.
Diesmal übernahm Suko das Wort. Er erkundigte sich nach der Familie Chakow. Da erhielt er keine Antwort, aber die Chakows waren bekannt, das sahen wir an der Mimik der Gesichter, die sich sofort verschlossen.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein«, die älteste der Frauen rieb ihre Handflächen gegeneinander, »das haben Sie nicht. Polizei?«
»Ach, Sie wissen, dass ich Polizist bin?«
»Junger Freund. Wer einmal vor den Schergen fliehen musste wie wir, der verliert nie seinen Blick für die sogenannten Männer des Gesetzes.«
»Aber hier ist nicht der Osten und …«
»Oft sind sie gleich.«
»Haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht?«, mischte ich mich mit leiser Stimme ein.
»Das habe ich. Auch hier. Aber lassen wir das. Man kann auch vergessen, und Sie beide sehen nicht so aus, als wollten Sie sich benehmen wie der Elefant im Porzellanladen. Es geht Ihnen also um die Chakows.«
»Genau.«
»Aber sie sind in Trauer. Sie haben ihre wunderschöne Tochter Tamara verloren.«
»Deshalb sind wir hier.«
Die Augen der Frau blitzten plötzlich. »Ist ihr Tod kein Unfall gewesen? War es vielleicht Mord?«
»Nein, das denken wir nicht. Es war schon ein Unfall. Wir sind wegen einer anderen Sache gekommen. Wir waren auch auf dem Friedhof, doch da wollten wir nicht stören, weil es eine besondere Zeremonie gewesen ist. Sie verstehen?«
Die alte Frau zupfte an ihrem Kopftuch und schien leicht zu frösteln, als sie fragte:
Weitere Kostenlose Bücher