1684 - So grausam ist die Angst
das Gefühl der Angst, das sie nicht loswurde. Sie spürte ihre schweißfeuchten Handflächen und den Druck in der Brust.
Die Fahrt nach Hause wurde zu einem regelrechten Horrortrip für sie. Als sie das Wohnhaus vor sich sah, war sie in Schweiß gebadet, was auch daran lag, dass der Polo keine Klimaanlage hatte.
Der kleine Parkplatz, an dem sie ihren Polo abstellte, war auch jetzt frei. Mit den beiden Tüten musste sie nur wenige Meter gehen, um das vierstöckige Haus zu erreichen, in dem sie in der zweiten Etage wohnte. Einen Lift gab es nicht und so musste sie Treppen hochsteigen, bis sie vor ihrer Wohnungstür stand und sich alles andere als wohl fühlte.
Sie schaute sich wieder um, aber der Flur war leer. Auch vor den anderen beiden Wohnungstüren hielt sich niemand auf. Zwischen ihnen befand sich das mehr hohe als breite Fenster, durch dessen Scheibe das Tageslicht in den Flur fiel und den dunklen Boden mit einem hellen Schimmer übergoss.
Den Schlüssel hielt sie in der Hand. Noch traute sie sich nicht, ihn ins Schloss zu stecken. Sie horchte an der Tür, ob jemand in der Wohnung war.
Sie hörte nichts. Deshalb gab sie sich selbst einen Stoß und schloss die Tür auf.
Es war alles normal und dennoch anders. Normalerweise betrat sie ihre Wohnung nicht so vorsichtig und nach allen Seiten sichernd, in diesem Fall folgte sie einfach ihrem Gefühl – und musste sich eingestehen, dass sie sich geirrt hatte.
Es gab keinen fremden Menschen, der ihre kleine Wohnung besetzt hielt.
Das stellte sie fest, nachdem sie in alle Zimmer geschaut hatte. Erst dann holte sie ihre beiden Einkaufstaschen aus dem Flur und nahm sie mit in die Küche, um die Einkäufe einzuräumen.
Das ging ihr alles schnell von der Hand, obwohl ihre Gedanken ganz woanders waren. Sie dachte nicht mal so sehr an diesen Uvalde, dafür mehr an die Familie Chakow. Wie kamen sie dazu, sich eine derartige Gestalt ans Grab ihrer Tochter zu holen? Dafür hatte sie kein Verständnis.
Es war schade, dass sie ihre verstorbene Freundin nicht mehr fragen konnte.
Oder doch?
Bei diesem Gedanken packte sie ein Schauder. So unwahrscheinlich war das nicht, wenn sie den Beteuerungen des Schamanen Glauben schenken sollte. Er war derjenige, der alles unter Kontrolle hielt und bei dem die Fäden zusammenliefen.
Aber was folgte dann?
Rosy stand in der Küche. Eine Flasche Wasser hatte sie nicht in den Kühlschrank gestellt. Aus ihr wollte sie ihren Durst löschen, im Moment aber spürte sie die Stille um sich herum. Rosy hatte nichts gegen Ruhe einzuwenden, in ihrem Fall allerdings kam sie ihr unnatürlich vor.
Es war Nachmittag geworden. Um diese Zeit hätte sie sonst noch im Büro gehockt. Jetzt hielt sie sich allein der Wohnung auf und wünschte sich an ihren Arbeitsplatz zurück, auch wenn Tamara nicht mehr in ihrer Nähe saß. Daran würde sie sich gewöhnen müssen.
Sie verließ die Küche und schaute ins Schlafzimmer. Der Blick fiel auf ihr Bett, das sie nicht gemacht hatte. Kissen und Decke lagen noch so zerknautscht wie am Morgen.
Hier war es gewesen, hier hatte dieser Schamanengeist mit ihr Kontakt aufgenommen. Ja, er war ein Geist gewesen. Einer, der seinen Körper verlassen hatte.
Rosy Mason wollte sich abwenden und in ihr kleines Wohnzimmer gehen, da passierte es. Sie hatte die Bewegung schon durchgeführt, als sie das Geräusch hörte, das wie ein leises Zischen klang, wobei sie nicht wusste, aus welcher Richtung es sie erreicht hatte.
Das war nicht mehr wichtig für sie, denn plötzlich hörte sie eine Stimme. Sie klang leise, man konnte auch von geisterhaft sprechen, aber sie war so deutlich, dass Rosy jedes Wort verstand.
»Hast du gedacht, ich hätte dich vergessen?«
Sie zuckte zusammen. Es war niemand zu sehen, und doch wusste sie, dass Darco Uvalde sie besucht hatte. Auf der Türschwelle blieb sie stehen und stützte sich an der Verkleidung ab.
Zu sehen war keiner, aber eine gewisse Kälte spürte sie schon, und sie dachte daran, mal gelesen zu haben, dass Geister immer Kälte verbreiteten, wenn sie ihr Reich verließen und sich einem Menschen näherten. So war es auch hier. Sie wartete, sie hörte nichts mehr, sie sah auch nichts, aber sie wusste genau, dass sie nicht mehr allein war – und hörte wieder die Stimme.
»He, warum gibst du keine Antwort?«
»Weil ich niemanden sehe«, flüsterte sie.
»Aber ich bin da.«
»Ja, das glaube ich.«
Der unheimliche Besucher schwieg wieder. Dafür bewegte er sich und strich dicht vor
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