1686 - Kugelfest und brandgefährlich
befindet sich diese Chandra jetzt?«
»Wohl im Haus.«
Diese Antwort versetzte ihr einen Schock. Das war selten, denn so leicht war Karina Grischin nicht zu erschüttern. In diesem Fall aber stand sie da wie vor den Kopf geschlagen und gab eine Antwort, die auch in meinem Sinne war.
»Dann müssen wir so schnell wie möglich von hier verschwinden. Sie wird uns gehört haben, denke ich.«
»Damit musst du rechnen.«
Karina drehte sich Blochin zu. »Sie haben alles verstanden, was wir sagten?«
Er nickte nur.
»Dann kommen Sie!«
Blochin ging den ersten Schritt. Er war ziemlich angeschlagen, das sah man ihm an. Der Tod seiner beiden Leibwächter musste ihn erschüttert haben. Wenn sie schon nicht gegen diese Verfolgerin ankamen, was war dann mit ihm?
Ich blieb auf der Plattform, während Karina schon auf der Fensterbank hockte.
»Kommen Sie, Blochin.«
»Wieso? Wollen wir nicht nach unten fahren?«
»Nein. Wir würden ein perfektes Ziel abgeben. Das sollte Ihnen doch klar sein.«
»Ja, schon gut.«
Wie wir uns verhielten, war genau in meinem Sinne. Karina wartete im offenen Fenster, ich stand an der Seite und hatte mir einen recht guten Überblick verschafft.
Karinas Ruf riss mich aus meiner Erstarrung. »John! Hinter dir!«
Ich fuhr herum.
Und dann schien die Zeit langsamer abzulaufen. Mein Blick erfasste einen kleinen Teil des Gerüstes. Auf einem der Stege stand Chandra, aber sie blieb dort nicht stehen. Mit der freien Hand ergriff sie eine Stange, schwang sich so über den Steg hinweg und hielt in der linken Hand eine Pistole.
Ich sah noch, dass ihre Arme frei waren und der Wind ihr dunkles Haar zerzauste. Ihr Blick schien zu lodern, aber sie schoss, und sie feuerte nicht nur einmal. Mindestens drei Kugeln trafen den Baulöwen in den Rücken, der auf der Stelle zusammenbrach.
Ich zog die Beretta.
Vor mir feuerte Karina. Auch sie war eine gute Schützin, und sie traf ihr Ziel, als Chandra wieder zurückschwang. Die Geschosse hätten sie zumindest verletzen müssen, was sie jedoch nicht taten. Ich bekam aus nächster Nähe mit, dass sie von ihrem Körper abprallten. Als die dritte Kugel sie traf, stand sie auf dem Brett, warf sich zurück und vollführte mehrere Überschläge hintereinander.
Auch ich feuerte eine geweihte Silberkugel ab, aber die Dunkelheit war zu dicht geworden. Möglichweise war auch die Entfernung zu groß geworden.
Jedenfalls traf ich nicht.
Ich hatte sie gesehen. Ich hatte sie als Mörderin erlebt, aber ich hatte sie nicht stoppen können, und das machte mich wütend.
»Bleib du hier!«, rief ich Karina zu und machte mich umgehend an die Verfolgung, ohne ihre Antwort abzuwarten …
***
Oleg Blochin lag nicht auf dem Boden. Er kniete noch, und das trotz der drei Kugeln, die in seinem Körper steckten. Er war auch nicht tot, denn er kippte nicht nach vorn. Er versuchte mit aller Macht, am Leben zu bleiben, und es war zu hören, wie er röchelnd nach Atem rang und die Luft einsaugte.
Vor seinen Lippen schimmerte heller Schaum, und mit einer wahnsinnigen Anstrengung hob er den Kopf an, weil er Karina Grischin anschauen wollte.
Die hatte sich ebenfalls hingekniet. Sie schaute ihn an, sah aus allernächster Nähe in seine Augen und wusste, dass der Mann nur noch kurze Zeit zu leben hatte.
»Sie – sie – sind stärker als ich. Verflucht noch mal. Das habe ich nicht gewollt.« Der Schaum blieb vor seinem Mund, fing jedoch an, sich zu verfärben. Trotz des schlechten Lichts wusste Karina, dass er eine rötliche Farbe angenommen hatte.
»Mein – mein – Sohn soll weitermachen. Nicht aufgeben. Nur – nur – besser aufpassen als ich …« Plötzlich stürzte ein Blutschwall aus seinem Mund, dann war es vorbei.
Vor Karinas Augen brach der Mann zusammen. Sie stützte ihn noch etwas ab, damit er nicht zu schwer aufs Gesicht fiel, und als er dann lag, bewegte er sich nicht mehr.
Karina drehte den Körper auf die Seite, dann auf den Rücken. Sie wollte sich davon überzeugen, dass er wirklich nicht mehr lebte. Unterhalb des Mundes waren Kinn und Hals blutverschmiert. Ihr Blick glitt höher und traf die Augen.
Die Agentin hatte schon oft genug in die Augen eines Toten geschaut, um zu wissen, woran sie war. Hier war nichts mehr zu machen. Drei Kugeln hatte Oleg Blochin den Tod gebracht.
Und sie kannte die Mörderin. Sie hatte sogar auf sie geschossen und erleben müssen, dass diese Person kugelfest war. Am liebsten hätte sie ihre Wut hinausgeschrien, aber sie riss sich
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