1689 - Engel der Ruinen
mit denen Sie in Ihrem Leben sicherlich noch nicht konfrontiert wurden.«
»Dient es der Sache?«, fragte Gordon Farell.
»Ja, das schon, denn alle hier sollen erfahren, mit wem sie es wirklich zu tun haben.«
»Wissen wir das nicht schon?«, erkundigte sich Purdy Prentiss.
»Nein, nicht wirklich.« Er hob seine Arme an. »Wenn Sie denken, dass Sie über mich richten und mich verurteilen können, dann muss ich Ihnen diese Hoffnung nehmen. Ein Mensch wie ich geht nicht hinter Gitter, das sollten Sie sich merken. Ich habe eine Hölle als junger Mann hinter mir gelassen, und ich habe mir geschworen, dass ich mein Leben so führen werde, wie ich es will. Dazu gehört der Knast nicht. Und ich habe bisher alles gehalten, was ich mir vornahm. Das wollte ich ihnen zu Beginn nahelegen.«
Er hatte den ersten Teil seiner Rede hinter sich und wartete auf die Reaktionen. Die erfolgten nicht sofort, denn der Richter und auch die Zeugen gaben sich ziemlich verunsichert. Nur Purdy nicht. Sie saß auf ihrem Platz und suchte meinen Blick, sodass sie auch sah, wie ich langsam nickte.
Der Richter übernahm wieder das Wort. »Wir kennen Ihre Vergangenheit, Mr Milic. Wir haben gehört, was Sie sich vornahmen, aber auch ein Mensch wie Sie muss sich an die Gesetze halten und kann sie nicht umgehen.«
»Ich habe es gelernt, mir meine eigenen Gesetze zu machen, und dabei ist es geblieben.«
Farell lächelte. »Das mag ja in Ihrem Sinne sein, aber wir befinden uns hier nicht auf dem Balkan, und der Krieg ist vorbei, auch wenn manche Menschen das nicht wahrhaben wollen. Was in der schlimmen Zeit geschehen ist, das geht uns in diesem Fall nichts an. Das ist eine Sache für den Europäischen Gerichtshof. Uns geht es einzig und allein um die Taten, die Sie hier in England verübt haben, und das läuft auf ein Bandenverbrechen hinaus.«
Josip Milic fing an zu lächeln. »Ich weiß, dass Sie so reden müssen, aber Sie haben sich den Falschen ausgesucht. Sie werden es nicht schaffen, mich hinter Gitter zu stecken, das kann ich Ihnen schwören. Die Hölle habe ich hinter mir und nicht vor mir, wenn Sie verstehen!«
»Ja, das habe ich. Und ich weise Sie noch mal darauf hin, dass Sie der Angeklagte sind. Wir haben Sie und einige Ihrer Bandenmitglieder festgenommen. Gegen sie wird noch ermittelt, aber glauben Sie mir, dass ich auch sie hier sehen werde.«
»Dazu kann ich nichts sagen. Aber bei mir irren Sie sich.« Milic hob seine Stimme an. »Es wird zu keiner Verurteilung kommen, das schwöre ich Ihnen.«
Der Richter, der zu Beginn der Verhandlung einen ruhigen Eindruck gemacht hatte, fühlte sich schon düpiert. Er sagte im Moment zwar nichts, aber es war zu sehen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Auch innerhalb des Publikums entstand eine gewisse Unruhe.
Spaß hatten die Reporter. Einer war zugelassen, um Fotos zu schießen, und das tat er mit Vergnügen.
Der Richter beugte sich zu Purdy Prentiss. Was er ihr ins Ohr flüsterte, war für uns nicht zu hören, ich sah jedoch, dass Purdy nickte. Sie gab ihm auch eine leise Antwort, mit der Farell wohl nichts anfangen konnte, denn er hob die Schultern und auf seinem Gesicht breitete sich Unverständnis aus.
Josip Milic stand noch immer. Er lächelte, er drehte auch den Kopf in meine Richtung und suchte den Blickkontakt, dem ich nicht auswich.
Er deutete ein Lächeln an und hob die Schultern ein wenig, bevor er mir zunickte.
Was wollte er mir damit andeuten?
Ich wusste es nicht, aber ich schaute an ihm vorbei. Da fiel mein Blick automatisch durch eines der rechteckigen großen Fenster. Sie waren von außen vergittert, trotzdem floss genügend Helligkeit in den Gerichtssaal.
Das waren Äußerlichkeiten, die mich nicht interessierten. Ich konzentrierte mich auf das, was ich jenseits der Scheibe sah und wohl nur als Einziger mitbekam.
Dort lauerte ein grauer Umriss.
Josips Helfer war da!
***
Wer nicht genau hinschaute, der sah ihn auch nicht. Ich aber tat es und wartete darauf, dass etwas geschah, denn ich glaubte nicht daran, dass dieser Engel viel länger warten würde. Er musste etwas tun, denn Milic setzte auf ihn.
Der Richter konzentrierte sich wieder auf ihn und nickte ihm zu. »Sie können sich wieder setzen, Mr Milic.«
»Nein!«
Der Angeklagte hatte nur ein Wort gesagt, und das schlug ein wie eine Bombe. Plötzlich wurde es still im Gerichtssaal. Keiner sagte mehr etwas, auch dem Richter hatte es die Sprache verschlagen. Er saß starr auf seinem Stuhl und schaute den
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