1689 - Engel der Ruinen
Milics Verteidiger war das nicht der Fall. Er stand am Fenster, und er war der Einzige, der laut lachte. Mit den flachen Händen schlug er gegen das Glas und kriegte sich gar nicht mehr ein.
Es war für uns eine Niederlage gewesen. Wir hatten die Flucht des Mannes nicht verhindern können, aber es war ein Verschwinden gewesen, das niemand von uns begreifen konnte. Wobei ich eine Ausnahme machte, denn ich dachte an die anderen Kräfte, die zu meinen Feinden zählten.
Einer der Aufpasser hatte begriffen und öffnete die Tür. Augenblicklich stürmte ihm eine Flut von Menschen entgegen, die raus aus diesem Saal wollten.
Ich stand den Leuten im Weg. Ich wurde geschubst und angerempelt, was mir letztendlich auch egal war, denn ich wollte nicht nach draußen, sondern zu Purdy Prentiss, die jetzt auf ihrem Platz saß und nur den Kopf schüttelte.
Neben ihr hockte noch immer der Richter. Er hatte seine Hände vor das Gesicht geschlagen, als wollte er das ganze Elend nicht sehen, das sich ihm da bot.
Ich ließ die Leute zunächst an mir vorbei und dann aus dem Saal strömen. Erst danach machte ich mich auf den kurzen Weg zu meiner Freundin Purdy Prentiss.
»Kannst du das begreifen, John?«
Ich ließ mich auf den frei gewordenen Platz des Schöffen fallen. »Was soll ich dazu sagen?«
»Am besten eine Erklärung.«
»Ja«, meldete sich der Richter. »Die wäre wirklich nötig bei diesem Chaos hier.«
Ich hob die Schultern.
Damit gab sich der Richter nicht zufrieden. »Hören Sie, Mr Sinclair, ich weiß sehr genau, wer Sie sind und mit welchen Aufgaben man Sie betraut hat. Was ist da passiert? Sie müssen doch irgendeine Erklärung dafür haben.«
»Im Moment nicht, Euer Ehren.«
»Das ist schlecht.«
»Ich weiß, Sir.«
Er schaute an Purdy vorbei und funkelte mich an. »Haben Sie denn keinen Verdacht? Himmel, Sie sind Polizist, und Polizisten haben in der Regel einen Verdacht.«
»Das weiß ich, Sir. Aber da bin ich wohl die berühmte Ausnahme.«
Er ließ nicht locker. »Ich denke mal, dass Sie das Gleiche gesehen haben wie ich.« Er wies in die Runde. »Und wie wir alle hier im Saal wohl auch. Oder?«
»Natürlich.«
»Es war kein Mensch, das weiß ich. Auch wenn diese Gestalt menschliche Formen gehabt hat. Was war es dann? Ein Geist? Ein Besucher aus dem Reich der Toten – oder was?«
Jetzt gab Purdy eine Antwort. »Es könnte auch ein Engel gewesen sein«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Bitte?« Gordon Farell setzte sich aufrecht hin. »Das glauben Sie doch selbst nicht.«
Purdy winkte ab. »Es spielt keine Rolle, was wir glauben oder nicht. Jedenfalls ist unser Angeklagter nicht mehr hier, er wurde geholt oder auch entführt. Das spielt keine Rolle.«
»Dann schaffen Sie ihn wieder her!«
Diese Forderung war an mich gerichtet, wobei ich nichts erwiderte und nur nickte.
Dann waren sie plötzlich da. Die Sicherheitsbeamten stürmten mit gezogenen Waffen in den Saal. Sie waren zu viert, verteilten sich und schauten sich um.
Sie sahen nur Purdy, den Richter und mich. Und wir machten auf sie nicht eben einen gefährlichen Eindruck. Einer trat vor. Er schaute den Richter an.
»Pardon, Euer Ehren, was ist hier passiert?«
»Das wüsste ich selbst gern.«
»Wir hörten, dass ein Gefangener entkommen konnte.«
»Das ist leider so.«
»Gut. Und wer hat ihn entführt? Die Aussagen der Leute bestehen aus einem völligen Durcheinander.«
»Kann ich mir denken«, sagte der Richter. »Sie müssen von einem Geist ausgehen.«
»Ha – einem Geist?«
»Ja, das sagte ich.«
Er wandte sich an Purdy und mich. »Was sagen Sie dazu?«
»Wir können die Aussage des Richters nur unterstützen, Mister. Das ist alles.«
Der Mann sah uns an, als wollte er uns fressen. Dem Richter war dies peinlich. Er winkte den Sicherheitsbeamten näher zu sich und erklärte ihm, dass er später mit ihm über dieses Thema reden würde.
»Ja, Euer Ehren, ist gut.«
Ich hatte nicht richtig hingehört und meinen Blick zur Seite gedreht. Deshalb sah ich auch, dass an der Tür Bewegung entstand, und wenig später schob sich ein kleiner Mensch mit dünnen Haaren in den Saal. Es war der Verteidiger. Sein Gesicht war hochrot angelaufen. Zudem schwitzte er stark. Dennoch lief er fast wie ein Rammbock auf uns zu und hob den Kopf an, damit er in unsere Gesichter schauen konnte.
»Was gibt es, Mr Miller?«, fragte der Richter.
Miller musste erst nach Luft schnappen, doch seine Aufgeregtheit blieb bestehen. Er suchte nach Worten, fand
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