1689 - Engel der Ruinen
das Hohe Gericht den Saal. Alle sonstigen Anwesenden erhoben sich von ihren Plätzen, um Richter, Staatsanwältin und auch den beiden Schöffen den nötigen Respekt zu erweisen.
Alle nahmen ihre Plätze ein.
Ich konzentrierte mich auf den Richter. Er war mir vom Aussehen her unbekannt. Purdy hatte mir seinen Namen gesagt. Er hieß Gordon Farell und war ein Mann um die fünfzig Jahre. Er trug eine Brille, die ziemlich weit vorn auf seiner Nase saß.
Wir durften uns wieder setzen. Der Gerichtsschreiber saß vor dem Richterpult, an der Tür standen die beiden Wächter, und jetzt konnte die Verhandlung beginnen.
Ich saß nicht zum ersten Mal in einem Gerichtssaal und wusste demnach, wie der Hase lief. Es würde sehr langweilig beginnen. Da mussten die Personalien aufgenommen werden, da wurde die Anklage verlesen, und es würde dauern, bis man richtig zur Sache kam.
Ich schloss zwar nicht die Augen, ließ aber diesen normalen Anfang über mich ergehen. Ich hatte mich nur auf meinem Stuhl etwas zur Seite gedreht, um einen besseren Überblick zu haben.
Purdy saß in der Nähe des Richters. Mich würdigte sie mit keinem Blick. Sie war in ihre Unterlagen vertieft. Der Richter tat seine Pflicht, Milic war aufgestanden und beantwortete jede Frage sehr deutlich und gewissenhaft.
Auch die anderen Zuschauer saßen still auf ihren Plätzen. Nichts störte die Verhandlung.
Ich dachte immer wieder an diesen Engel. Er war zwar nicht sichtbar, doch ich glaubte fest daran, dass er alles, was hier im Gerichtssaal geschah, durchaus mitbekam.
Als der Richter die Formalitäten erledigt hatte, war Purdy an der Reihe, um die Anklage zu verlesen.
Sie stellte sich dabei hin und erledigte mit ruhiger Stimme ihren Job. Wir Zuschauer erfuhren, welchen Weg Milic gegangen war. Dass er den Schrecken des Balkankriegs entkommen war und hier in London eine neue Heimat gefunden hatte.
Dann kam Purdy Prentiss langsam zu den Punkten der Anklage. Es ging im Prinzip um die Bildung einer internationalen Bande. Die Männer hatten sich auf Luxusautos spezialisiert und über Jahre hinweg diese Fahrzeuge außer Landes geschafft. Gestohlen worden waren sie überall im Vereinigten Königreich. Das war nicht allein auf London fixiert gewesen, sondern bis hoch nach Schottland gegangen, denn auch in Glasgow, Edinburgh und anderen Städten waren die Fahrzeuge gestohlen und danach in die entsprechenden Länder geschafft worden.
Der Mann hatte es wirklich verstanden, sich im Laufe der Zeit ein perfektes Netz aufzubauen. Er hatte in den verschiedenen Ländern seine Verbündeten sitzen, die dafür sorgten, dass die Ware auch an das richtige Ziel gelangte.
Ich beobachtete während des Vorlesens Josip Milic. Er hörte sich alles an, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Manchmal glaubte ich sogar, ein Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen, das ließ darauf schließen, wie sicher er sich fühlte.
Gab es einen Grund dafür?
Darüber musste ich nicht lange nachdenken. Ja, es gab ihn. Der Grund war der Engel oder wer immer sich auch hinter dieser Gestalt verbarg.
Purdy trank hin und wieder einen Schluck Wasser, denn das lange Sprechen trocknete ihre Kehle aus. Aber auch sie kam zu einem Ende, und als sie sich setzte, erhob sich im Saal ein Geraune.
Ich sah die Falten auf der Stirn des Richters. Ihm passte die Reaktion nicht. Er schlug mit dem Hammer auf das Holz und bat mit strenger Stimme um Ruhe.
Die trat auch sehr schnell ein. Neben Milic rutschte der Verteidiger unruhig auf seinem Hintern hin und her. Wahrscheinlich wollte er sich zu Wort melden, doch das ließ der Richter nicht zu, denn er wandte sich an den Angeklagten.
»Wenn Sie wollen, Mr Milic, gebe ich Ihnen Gelegenheit, sich zu diesen Vorwürfen zu äußern.«
Milic ließ sich Zeit. Er blieb zunächst sitzen, schaute sich die Leute in seiner Nähe an, stemmte dann beide Hände auf den Tisch und stand langsam auf.
Auch jetzt machte er nicht den Eindruck eines Menschen, der unter Anklage stand. Er gab sich eher wie der Sieger, denn darauf deutete seine Haltung hin, die nicht eben demütig aussah. Er stand hoch aufgerichtet und seine Augen funkelten wie die eines Menschen, der einen Sieg errungen hatte.
»Ja, ich möchte etwas sagen.«
Der Richter nickte. »Bitte, Mr Milic.«
»Ich weiß, wo ich hier stehe. Ich weiß auch, weshalb man mich angeklagt hat. Es ist natürlich klar, dass ich dazu nichts sagen werde, das ist mein gutes Recht. Aber ich möchte Ihnen einige andere Dinge bekannt geben,
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