1689 - Engel der Ruinen
Angeklagten nur an, ohne dass ein Wort über seine Lippen drang.
»Was haben Sie gesagt?«, flüsterte er schließlich.
»Ich sagte nein.«
»Und dabei bleiben Sie auch?«
»Ja, denn ich denke nicht daran, meine Meinung zu ändern. Ich werde Ihren Anweisungen nicht Folge leisten, und Sie werden es auch nicht schaffen, mich zu verurteilen. Die Zeit ist abgelaufen, Euer Ehren.«
Gordon Farell hob den rechten Arm und fasste nach dem Hammer, um auf das Holz zu schlagen.
Purdy Prentiss stand auf. Ich sah ihr an, dass sie mir etwas zurufen wollte, aber ich war schneller, denn ich rief ihr zu: »Am Fenster, Purdy!«
Sie schaute hin.
Auch ich blickte auf dieses Ziel – und wusste eine Sekunde später, dass ich nichts mehr tun konnte.
Der Geist, das Gespenst, der Engel oder wer immer es auch war, hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und glitt auf die Scheibe zu, die für ihn kein Hindernis war.
Einen Moment später befand sich die Gestalt im Innern des Gerichtssaals. Ein Zuschauer hatte etwas bemerkt.
»Was ist das denn?«
Zwei Männer sprangen auf. Auch die Wärter an der Tür setzten sich in Bewegung. Das alles war praktisch zum Scheitern verurteilt, denn plötzlich veränderte sich die Lage radikal.
Von einem Augenblick zum anderen legte sich eine tiefschwarze Dunkelheit über den Saal …
***
Es war ein Ereignis, mit dem keiner gerechnet hatte. Da machte auch ich keine Ausnahme. Es war stockfinster geworden und man sah wirklich die berühmte Hand vor Augen nicht.
Ich war aufgesprungen, ohne meinen Nebenmann zu erkennen. Auch am Richtertisch war niemand zu erkennen, und nach diesen ersten Sekunden, die die Menschen in einen Schock versetzt hatten, reagierten die Ersten unter ihnen.
»Verdammt, was ist das?«
»Licht!«
»Ich will hier raus!«
Stühle wurden gerückt und fielen um. Jeder wollte die Tür erreichen, und die Leute liefen aus verschiedenen Richtungen auf sie zu, was ein Fehler war, denn sie kamen sich gegenseitig in die Quere, sodass keiner den normalen Weg fand. Sie rempelten sich an, stießen sich um, und auch mir war der Weg versperrt.
Ich hatte natürlich in eine bestimmte Richtung laufen wollen, was mir nicht gelang, weil mir zu viele Körper den Weg versperrten, die ich erst zur Seite räumen musste. Im Dunkeln war nichts zu sehen, aber ich versuchte es außen herum. Nicht den Weg zur Tür nehmen, sondern den von der anderen Seite.
Aber dann war ich gezwungen, von meiner Absicht Abstand zu nehmen.
Es war nicht völlig dunkel, genau dort, wo der Angeklagte gestanden hatte, breitete sich ein heller Schein aus, und der stammte von dieser feinstofflichen Gestalt.
Sie zeigte sich in ihrem hellen Umriss. Der Körper und das Gesicht waren zu sehen und ich konnte erkennen, wie der unheimliche Besucher seine Arme ausstreckte, um nach etwas zu greifen. Er fand, was er suchte, und das war Josip Milic. Ich sah es recht deutlich, weil auch er in den helleren Schein geriet. Damit hatte der Beschützer fast das erreicht, was er wollte.
Ja, nur fast, denn die eigentliche Aufgabe erledigte er Sekunden später.
Er nahm Milic mit.
Er glitt mit ihm zurück auf das Fenster zu, und plötzlich war dieser Widerstand für den Angeklagten nicht mehr vorhanden. Er passierte die Scheibe ebenso wie sein Retter, und damit war genau das eingetreten, was Milic bekannt gegeben hatte.
Ich wollte trotzdem hin, stolperte aber über ein Bein, fiel nach vorn, hatte Glück, auf einer Sitzfläche zu landen, kam wieder hoch – und es wurde erneut alles anders.
Plötzlich war die Helligkeit wieder da. Die Dunkelheit hatte sich ebenso schnell zurückgezogen, wie sie gekommen war. Jeder, der sehen konnte, der sah auch, dass nichts mehr so war wie zu Beginn der Verhandlung …
***
Die meisten Menschen hatten sich auf den Weg zum Ausgang gemacht. Es war ihnen nur nicht gelungen, ihn zu erreichen, denn auf der kurzen Strecke hatten sie sich gegenseitig behindert, und so war es in der Nähe der Tür zu einem Stau gekommen.
Wir konnten wieder sehen, und ich stellte fest, dass die Gesichter der Leute nicht mehr normal waren. In ihnen und in ihren Augen war die Panik wie festgeschrieben.
Innerhalb der dunklen Phase hatte es die Schreie gegeben, die hörte ich nicht mehr. Dafür redeten viele durcheinander. Jeder wollte etwas sagen, und die beiden Männer an der Tür sahen aus wie Figuren, auf deren Gesichtern der reine Unglaube stand.
Der Richter und auch die Staatsanwältin hatten ihre Plätze nicht verlassen. Bei
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