1689 - Engel der Ruinen
über mich.«
»Ich bin Sariel.«
Die Antwort hatte mir gezeigt, dass er einverstanden war.
»Das habe ich schon gehört, und Namen wie deiner haben eine Geschichte. Und darüber würde ich gern mehr erfahren.«
»Ich bin beides.«
»Was meinst du damit?«
»Ich stehe mal auf der einen und mal auf der anderen Seite.«
»Kann du das nicht genauer erklären?«
»Ich bin auch der Bestrafer und auf der anderen Seite der Helfer. Beides muss sich immer die Waage halten. Wenn ich helfe, so muss ich auch bestrafen. Das wusste man, und man hat mir viele Namen im Laufe einer urlangen Zeit gegeben. Mal hieß ich Suriel, mal Zerachiel. Ich bin auch ein Wächter, ich achte auf die Geschicke der Engel, aber mein Blick kann sich auch gegen die Hölle richten. Manche nennen mich den Rebellen, weil ich mich an die Seite des großen Luzifer gestellt habe.«
»Luzifer?«, fragte ich. »Ist deine Herrin nicht eher Lilith, die Erste Hure des Himmels?«
Sariel starrte mich ungläubig an. »Wie kommst du denn darauf? Mit Lilith habe ich nichts zu schaffen.«
»Kennst du denn einen Engel Barbelo?«
Ich erntete nur ein Kopfschütteln.
»Wer bist du dann wirklich?«
»Das lasse ich offen. Es gibt noch genug andere Legenden. Beim großen Kampf der Engel gegen die Horden der Finsternis habe ich auf den Seiten der Lichtgestalten gestanden, aber ich kenne mich auch bei den Söhnen der Finsternis aus.«
»So ist das.« Ich nickte. »Aber was hast du mit Josip Milic zu schaffen?«
»Das will ich dir sagen. Ich habe mir selbst einen anderen Namen gegeben. Ich bin der Engel der Ruinen. Derjenige, der als Todesbote über die Schlachtfelder gleitet und all das Grauen sieht, das die Menschen angerichtet haben. Sie sind nicht besser als viele von uns, aber wir können und dürfen nicht eingreifen. Die Menschen müssen ihr Schicksal selbst in die Hände nehmen.«
»Das weiß ich.«
»Aber manchmal, wenn ich auf den Schlachtfeldern sehe, wie sie dort gewütet haben, überkommt mich das Mitleid. Dann werde ich zu dem Wesen, das sich die Menschen immer wieder wünschen. Egal, zu welcher Zeit dies geschah. Da werde ich zu einem Beschützer und auch Heiler.«
»Das ist also bei Josip Milic passiert!«
»Ja, ich fand ihn schwer verletzt auf einem Schlachtfeld liegen. Ich hörte sein verzweifeltes Stöhnen. Ich wusste, dass er nicht mehr lange leben würde. Dabei war er noch so jung, und da habe ich mich seiner erbarmt. Ich heilte ihn und habe ihm versprochen, ihn auf seinem weiteren Weg zu beschützen. Dieses Versprechen halte ich ein, bis ihn der Tod ereilt, denn das wird eines Tages geschehen. Bis dahin aber soll ihm kein Leid widerfahren. Was ihr mit ihm vorgehabt hattet, das wäre für ihn schlimm gewesen. Das kann ich nicht akzeptieren.«
»Ja«, sagte ich und nickte ihm zu. »Das verstehe ich schon. Aber dieser Mann, den du deinen Schützling nennst, ist zu einem Gesetzesbrecher geworden. Zu einem Menschen, der andere Menschen betrogen hat, möglicherweise auch verletzt oder ermordet. Er ist vor Gericht gestellt worden, und dort gehört er auch wieder hin.«
Meine Antwort war klar gewesen und ließ keine Fragen offen. Das wusste auch Josip Milic.
Plötzlich fing er an zu schreien. Dabei stieß er Worte hervor und meinte mich damit.
»Bist du verrückt, Bulle? Größenwahnsinnig geworden? Weißt du nicht, wem du gegenüberstehst?«
»Doch, das weiß ich.«
»Wie kannst du dann nur so arrogant sein und dich gegen diesen mächtigen Engel stellen? Mein Beschützer wird dich zertreten wie einen Käfer. Aber nicht nur du bist an der Reihe. Auch die Frau und mein Anwalt, der mich letztendlich verraten hat. Ich werde meinen Weg fortsetzen, denn Sariel wird sein Versprechen nicht brechen.«
Das befürchtete ich auch, und ich dachte krampfhaft darüber nach, dass ich mir etwas einfallen lassen musste. Noch hielt ich meinen größten Trumpf versteckt, ging aber davon aus, dass Sariel irgendwie Bescheid wusste, da er sich über mein Kreuz gemeldet hatte.
»Ich kann dir Milic nicht überlassen«, erklärte ich ihm, »denn wir haben unsere Gesetze.«
»Du willst es auf einen Kampf ankommen lassen?«
»Das muss ich wohl.«
Meine Antwort hatte mir gefallen. Purdy Prentiss dafür weniger, denn sie flüsterte: »Bist du wahnsinnig, John? Lass ihn laufen. In diesem Fall müssen wir aufgeben.«
»So leicht nicht.«
»Was willst du denn …?«
»Du wirst es gleich sehen.«
Mit dem gleich meinte ich sofort. Ich berührte bereits seit
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