169 - Der Vampir mit der Maske
haben.
Die Frage lag nahe: Wo befand sich Tyne jetzt? Draußen war es dunkel. Theoretisch konnte sie ihr Versteck schon wieder verlassen haben.
Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß Tyne immer noch zu Hause wohnte - ohne Wissen ihres Vaters. Sie konnte sich hier eingeschlichen haben, bevor der Tag anbrach.
Wir baten Wallace Carrera, uns Tynes Zimmer zu zeigen, und ich sagte: »Hören Sie, Mr. Carrera, wenn es Ihnen zu schwerfällt, brauchen Sie nicht mitzukommen.«
Aber er war entschlossen, es durchzustehen. Bestimmt befürchtete er nicht, daß wir in Tynes Zimmer etwas mitgehen ließen. Er wollte wahrscheinlich nur dabeisein und uns auf die Finger sehen, damit wir nichts veränderten.
Vielleicht hatte er im Zimmer seiner Tochter alles gelassen, wie es war, als wäre sie nur mal eben auf einen Sprung weggegangen, und diese Illusion wollte er sich von uns nicht zerstören lassen.
Ich fragte mich, wie er wohl reagiert hätte, wenn ihm Tyne so erschienen wäre wie mir, mit diesen leuchtenden rubinroten Augen, den graubraunen Lippen, den fleckigen Zähnen, mit dieser unfaßbaren Blutgier im Blick.
Ich glaubte, er hätte den Verstand verloren.
Er zeigte uns Tynes Zimmer. Tränen glänzten in seinen Augen. Ich sah, wie er mit sich kämpfte.
Das Zimmer war geschmackvoll eingerichtet, machte einen netten Eindruck. Das Wissen darum, daß in diesem Raum ein junges Mädchen gestorben war, legte sich wie ein harter Eisenring um meine Brust.
Wallace Carrera hatte nichts dagegen, daß wir uns auch die anderen Räume ansahen. Wir suchten Tyne, aber das sagten wir ihm nicht. Es fiel ihm erheblich leichter, uns auch die anderen Zimmer zu zeigen, und es befremdete ihn nicht, einmal, als wir ihn baten, uns auch im Keller Umsehen zu dürfen.
Obwohl wir so gewissenhaft wie möglich vorgingen und sogar einige Mauern heimlich nach Hohlräumen abklopften, war uns kein Erfolg beschieden.
Wieder im Erdgeschoß, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Drüben war Trevor Place 24, ein Haus, das mir besser gefiel als meines in der Chichester Road.
Am Fenster neben der Haustür bemerkte ich einen schwarz gekleideten Mann. Er schaute herüber, und als ihm auffiel, daß ich ihn ansah, trat er rasch zurück.
Es mußte nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen sein, das ihn dazu veranlaßte. Vielleicht schämte er sich für seine Neugier - oder er war einfach nur menschenscheu.
»Wem gehört das Haus dort drüben?« erkundigte ich mich.
»Trevor Place 24?« fragte Wallace Carrera. »Einem Makler; Michael Averback ist sein Name. Aber er wohnt nicht selbst in dem Haus.«
»Kennen Sie ihn?«
»Selbstverständlich.«
»Wie sieht er aus?«
Carrera beschrieb ihn, und ich sagte, daß ich ihn am Fenster gesehen hätte.
»Er läßt sich ab und zu mal blicken«, erklärte Carrera.
»Ist das Haus zu mieten oder zu kaufen?« wollte ich wissen.
»Da bin ich überfragt, Mr. Ballard«, antwortete Wallace Carrera. »Das können Sie nur von Mr. Averback selbst erfahren.«
Ich war entschlossen, ihn danach zu fragen, denn ich konnte mir sehr gut vorstellen, in diesem gefälligen Haus mit meinen Freunden zu wohnen. Michael Averback mußte mir sagen, ob das möglich war. Wenn ja, brauchte ich nur noch mit meinen Freunden einig zu werden, dann stand der Übersiedlung nichts mehr im Weg.
Als wir uns von Wallace Carrera verabschiedeten, drückte seine Miene Zweifel, Bangen und Hoffnung aus. »Werden Sie Tyne finden, Mr. Ballard?«
»Das hoffe ich«, antwortete ich ehrlich.
Dann traten wir auf die Straße.
***
Tyne Carrera hatte den Keim des Grauens an Larry Waite weitergegeben. Höllenkräfte hatten sie wieder vereint.
Sie hatten einen schrecklichen Wechsel vollzogen und standen nun auf der anderen Seite des Lebens, dort, wo die Schatten regierten, wo das Böse zu Hause ist.
Unheilbringende Kreaturen waren aus ihnen geworden, für die völlig andere Gesetze Gültigkeit hatten, und es war ihre Bestimmung, zu töten und dafür zu sorgen, daß die Zahl der Vampire sich vermehrte.
Ihr Herz schlug nicht mehr, sie waren kalt und gefühllos. Unglücklichen Menschen das Leben zu nehmen, ihr Blut zu trinken war für sie eine Notwendigkeit.
Blut war ihre einzige Nahrung. Vermochten sie sich keines zu verschaffen, starben sie einen qualvollen Tod. Nur wenige von ihnen kamen über einen längeren Zeitraum ohne Nahrung aus.
Die meisten brauchten häufig frisches Blut, um bei Kräften zu bleiben, wobei sie Tierblut verabscheuten. Darauf griffen sie nur
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