169 - Der Vampir mit der Maske
danach aus, als hätte sie vor mir schon mindestens in einem Fall Erfolg gehabt.
»Die Seuche beginnt zu grassieren, Tony«, sagte Mr. Silver, der sich in meine Gedanken eingeschaltet hatte. »Und was können wir auf der Habenseite verbuchen?«
»Nur, daß sich die Vampire hier nie mehr blicken lassen werden«, beantwortete ich Mr. Silvers rauh ausgesprochene Frage.
»Ich habe mich schon lange nicht so unbehaglich gefühlt«, gestand der Ex-Dämon. »Es werden weitere Tote anfallen, es ist wie bei einer losgetretenen Lawine. Ein Opfer zieht das nächste nach sich. Es werden immer mehr, und wir können nichts dagegen tun.«
»Wir müssen«, sagte ich grimmig. »Es wird uns gelingen, diese verdammten Blutsauger unschädlich zu machen.«
»Wie denn?«
»Irgendwie«, gab ich zurück. Eine bessere Antwort hatte ich im Augenblick nicht für meinen Freund. »Vielleicht kann ich es dir morgen sagen.«
***
Wir versuchten unser Glück zweimal, trafen Wallace Carrera zu Hause jedoch nicht an. Erst als wir nach 19 Uhr noch einmal nach Trevor Place fuhren, brannte Licht in Carreras Haus.
Die Vampirin hatte mir ihren Namen genannt, wohl im Vertrauen darauf, daß ich damit ohnedies nichts mehr anfangen konnte. Tucker Peckinpah hatte uns zu ein paar Informationen verholfen.
Allerdings muß ich sagen, daß er uns schon mal besser bedient hatte. Wir hörten von ihm lediglich, wo Tyne Carrera zu Hause war, daß ihr Vater Wallace hieß und im Trade Center arbeitete.
Als wir an seiner Tür läuteten, war er darüber nicht sonderlich erfreut. Er musterte uns abweisend wie Vertreter, die ihm unnützes Zeug andrehen wollten. Noch dazu etwas, das er im Kaufhaus billiger erstehen konnte.
Trauer überschattete seine Augen. Er sah aus wie jemand, dem kürzlich großes Unglück widerfahren war. Mit schmerzhaften Schlägen schien ihn das Schicksal getroffen zu haben. Das Rückgrat seines Lebenswillens war dabei zerbrochen. In seinem Blick erkannte ich die stumme Frage: Wozu lebe ich? Was will ich noch auf dieser schrecklichen Welt, die mir soviel Leid und Schmerz beschert hat?
Ich wies mich aus, nannte Mr. Silvers Namen und sagte, wir hätten ein paar Fragen an ihn, die seine Tochter beträfen. Er nickte und gab schlurfend die Tür frei. Wir traten ein.
»Sie ist tot«, sagte Wallace Carrera schleppend im Living-room. Mit einer beiläufigen Handbewegung bot er uns Platz an.
»Wie ist sie gestorben, Mr. Carrera?« fragte ich.
»Mit 22 Jahren«, flüsterte er, als wäre es ihm unbegreiflich.
Ich schätzte ihn auf Anfang 40; er war ein junger Vater, mußte es mit 18 oder 19 Jahren geworden sein. Meine Frage schien er überhört zu haben, deshalb wiederholte ich sie, und er begann leise und schleppend zu erzählen, wie elend und qualvoll seine geliebte Tochter zugrunde gegangen war.
Meine Vermutung war richtig gewesen. Tyne Carrera war noch nicht lange tot. Konnte er schon nicht fassen, daß sie so unerwartet gestorben war, so konnte er sich schon gar nicht erklären, daß in der Nacht nach ihrem Tod ihre Leiche verschwand.
Ich hätte ihm die Zusammenhänge nennen können, aber er hätte mir mit Sicherheit nicht geglaubt. Seine Ansicht deckte sich mit der der Polizei, die vermutete, daß jemand die Leiche gestohlen hatte.
Wer zu solch einer verrückten Tat fähig war, wußte man noch nicht, hoffte aber, es bald herauszubekommen. Die Polizei rechnete damit, daß der Irrsinn den Täter entlarvte.
Niemand hätte die Behauptung gelten lassen, daß die Tote einfach aufgestanden und fortgegangen, daß sie dem Ruf ihres Herrn und Meisters gefolgt war.
Der Vampir mit der Maske hatte sie zu sich geholt.
Es stellte sich heraus, daß uns Wallace Carrera für Polizeibeamte hielt. Er hatte sich meine Privatdetektivlizenz offensichtlich überhaupt nicht angesehen.
In seinem zerrütteten Zustand hätte er sogar eine Monats-Netzkarte der U-Bahn als Polizeidokument akzeptiert.
Wann und wo Tyne Carrera Kontakt mit dem Vampir hatte, wußte Wallace Carrera nicht. Wir fragten ihn selbstverständlich nicht direkt danach, sondern auf großen Umwegen und immer sehr vorsichtig.
Mir ging die Überlegung durch den Kopf, daß es das Mädchen mit dem roten Kleid gewesen sein konnte, dessen Schuhe wir im Hyde Park gefunden hatten.
Ich konnte mir vorstellen, wie Wallace Carrera zumute gewesen war, als Tyne in seinen Armen starb. Die Welt mußte für ihn eingestürzt sein, und er mußte den Glauben an Gott, an die Gerechtigkeit und an das Leben verloren
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