17 - Das Konzil der Verdammten
»Dir ist gewiss bekannt, dass der Bischof von Ard Macha den Segen Seiner Heiligkeit als oberster Kirchenherr in eurem Lande Hibernia zu erhalten wünscht.«
Fidelma schürzte verächtlich die Lippen. »Wir haben schon seit langem gemerkt, dass der comarb des Patrick, wie wir die Bischöfe von Ard Macha nennen, den Anspruch erhebt, der oberste Bischof aller fünf Königreiche zu sein. Jedoch wird dieser Anspruch von den anderen Bischöfen keineswegs gutgeheißen. Und schon gar nicht von den Bischöfen im Königreich meines Bruders.«
»Comarb?« Der Nuntius stutzte bei dem Wort.
»Das heißt einfach ›Nachfolger‹«, erklärte Fidelma und fuhr fort: »Abt Ségdae, der jetzt der ranghöchste Delegierte aus Hibernia ist, wird als comarb des heiligen Ailbe anerkannt; Ailbe kam in unser Königreich Muman, noch bevor Patrick das Inselreich betrat. Ailbe war es, der den Glauben in unserem südlichen Königreich verbreitete. Nach Ansicht unserer Gelehrten stünde Ségdae das Vorrecht zu, oberster Bischof zu sein. Er ist sowohl Abt als auch Bischof von Imleach, der Abtei, die Ailbe gegründet hat. Viele von uns wollen es nicht hinnehmen, dass der Bischof von Ard Macha den Titel archiepiscopus führt – denn derart hierarchisch sind unsere Kirchen nicht ausgerichtet.«
Nuntius Peregrinus seufzte tief. »Um Kirchenpolitik geht es also! Dieses Geschenk dürfte Abt Ségdae nicht gefallen haben. Da nun das Geschenk verschwunden ist, solltest du deine Gedanken auch in diese Richtung lenken.«
Fidelma entging die Verdächtigung nicht, die in seinen Worten mitschwang. »Willst du Abt Ségdae unterstellen, er hätte seine Hand im Spiel?«
Peregrinus spreizte die Hände. »Wenn, wie du vermutest, der Diebstahl des Reliquiars ein mögliches Motiv für den Mord an Dabhóc darstellt, dann ist Abt Ségdae ein Hauptverdächtiger, und das aus dem Grunde, den du eben dargelegt hast.«
»Wer außer dir hat gewusst, worum es sich bei dem Geschenk handelt? Ich meine, hat nicht nur gewusst, dass es ein Reliquienkästchen ist, sondern auch, welcher Art die darin befindlichen Reliquien sind?«, fragte Eadulf.
»Ich denke, nur Abt Dabhóc und vielleicht sein Kammerdiener, der junge Bruder Gillucán. Mir jedenfalls war lediglich bekannt, dass das Kästchen die Reliquien des Jüngers und Nachfolgers des heiligen Patrick enthielt.«
Fidelma schwieg und überlegte. Nach den Bemerkungen des Nuntius hatte sie selbst den Grund genannt, aus dem Abt Ségdae als Hauptverdächtiger in Betracht käme. Aber Ségdae war der Freund ihres Bruders und sein Ratgeber, und zudem hatte er sie und Eadulf getraut. Eine Bestechungsgabe, wie sie Ard Macha Rom anbot, war gewiss nicht im Sinne Imleachs oder Ségdaes.
»Wann hast du davon erfahren, dass das Reliquiar gestohlen wurde?« warf Eadulf ein.
»Wann?« Der Abgesandte überlegte einen Moment. »Ich denke, das muss gleich nach dem Mord gewesen sein, bin mir aber nicht ganz sicher. Jemand sprach davon, dass die Kammer des Abts durchwühlt worden war.«
»Wer war dieser ›jemand‹?«
»Daran erinnere ich mich nicht … Oder doch, warte! Das muss Bruder Chilperic gewesen sein, der Verwalter.«
Man hörte das Läuten einer Glocke. Rasch stand der geistliche Herr auf. »Ah, man ruft zur Abendmahlzeit.«
Fidelma hatte den Eindruck, dass ihm das sehr gelegen kam. »Wenn sich das Reliquiar nicht in Abt Dabhócs Zimmer befand, war es doch logisch, dass sein Kämmerer, Bruder Gillucán, es an sich genommen hatte.«
»Ja, schon, so dachte man zunächst auch.« Der Nuntius
hüstelte. »Bruder Gillucán wurde deswegen befragt … Doch
er bestritt, davon überhaupt etwas zu wissen.«
»Wer hat ihn befragt?«
»Ich nehme an, Bruder Chilperic hat mit ihm gesprochen.« Auch Fidelma und Eadulf erhoben sich nun. »Du hast uns
sehr geholfen, Nuntius Peregrinus«, schmeichelte ihm Fidelma. »Ich hoffe, wir können weiter mit deiner Unterstützung rechnen bei der Aufklärung dieser Vorgänge, und außerdem hoffe ich, dass es nicht mehr lange dauert, bis du unserem
Freund in Rom, dem Ehrwürdigen Gelasius, berichten kannst,
was sich hier zugetragen hat.«
Peregrinus nickte Schwester Fidelma und Bruder Eadulf
zu, drehte sich nach seinem stummen Leibwächter um und
schloss sich der Schar an, die zum Refektorium strebte. Fidelma und Eadulf folgten ihnen gemächlichen Schrittes.
»Was machen wir nun?«, fragte Eadulf. »Sollen wir Abt Ségdae mitteilen, er hätte guten Grund gehabt, Dabhóc zu töten
und diesen Reliquienkasten zu
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