17 - Das Konzil der Verdammten
sie. »Abgesehen von den Katakomben in Rom ist mir dergleichen nicht vorgekommen.«
»Nur noch einen dritten«, lautete die Auskunft.
»Und wohin führt der? Gehört er auch zur Abtei?«
»Der endet in einem engen Tunnel unter der Südwestecke der Stadtmauer. Früher, als die adligen Geschlechter in der Stadt lebten, diente er als Fluchtweg, wenn die Stadt belagert wurde.«
»Wird der heute noch genutzt?«
»Jedenfalls nicht, seit ich in der Abtei bin. Gesehen habe ich den Ausgang natürlich. Alle Riegel sind auf der Innenseite der Türen. Von außen kann niemand eindringen, es sei denn, er hat Helfershelfer drinnen.«
Eadulf schaute sich besorgt in dem Schummerlicht um. Von irgendwoher schien ein schwacher Lichtschein zu kommen, doch ließ sich die Richtung nicht feststellen. Bruder Sigeric bemerkte, wie er den Kopf hin und her wandte und nach etwas suchte.
»In den Gewölben ist immer ein schwacher Schimmer«, erläuterte er. »Das liegt an dem Gestein, das die Decke der ursprünglichen Höhle bildet. Muss eine Art Phosphor sein.«
»Hat sich Schwester Valretrade nie gefürchtet, hier allein entlangzulaufen, um sich mit dir zu treffen?«, erkundigte sich Eadulf, den das Ausmaß der gewaltigen Gewölbe beeindruckte. »Sie kannte den Weg genausogut wie ich und hatte deshalb
keine Angst. Allerdings war unser Treffpunkt weiter hinten
einfacher für mich. Ich zeige dir gleich, wo.«
»In der Nacht, als Dabhóc ermordet wurde und du nicht
hier warst zu eurer Verabredung … Wäre es denkbar, dass sie
sich auf den Weg zur Kapelle machte und ihre Kerze erlosch
und sie sich in der Dunkelheit völlig verirrte?« Ein fürchterlicher Gedanke, und doch sprach Eadulf ihn aus. »Bestimmt nicht. Dafür kannte sie sich hier zu gut aus«, tat
Bruder Sigeric eine solche Vorstellung sofort ab. »Wir haben
uns immer an einer bestimmten Stelle getroffen. Wenn einer
von uns dort wartete, und der andere kam nicht, haben wir
eine Figur verrückt, und der andere hat daran erkannt, dass
man hier war. Dann sind wir zurück in unsere Zellen gegangen und haben uns neu verständigt. Wir hatten uns geschworen, nie tiefer in die Gewölbe hineinzugehen.«
Sie waren an eine Stelle gelangt, an der etliche kleine Nebenkammern vom Pfad abgingen. In jeder Kammer stand ein
reichgeschmückter Sarkophag. Bruder Sigeric blieb vor einer
der Nischen stehen und winkte sie herein.
»Hier haben wir uns immer getroffen. Seht ihr die Statuette
da?« Er wies auf ein Miniatur-Standbild eines kleinen Mannes
mit den Beinen einer Ziege und Hörnern auf dem Kopf, der
eine Panflöte hielt. Fidelma glaubte sich zu erinnern, Kunstwerke dieser Art in Rom gesehen zu haben. »Wir haben die
Statuette auf eine Seite des Sarkophags gestellt und sie auf die
andere Seite gerückt, wenn wir uns verfehlt hatten, das kam
aber höchst selten vor.«
Vom Mausoleum war es nur noch ein kurzes Stück bis zu einer steinernen Treppe, die nach oben führte. »Wenn du durch die Tür da oben gehst, bist du im domus feminarum «, erklärte Sigeric Fidelma, nahm eine Kerze aus seiner Tasche und reichte sie ihr. »Du wirst sie nicht brauchen, nimm sie aber für den Notfall. Valretrade hat mir erzählt, die Äbtissin lässt die Korridore hier und da mit Laternen beleuchten. Das kann für dein Vorhaben gut oder schlecht sein. Wenn dir jemand begegnet, dann … Aber hoffen wir lieber, dass alle schlafen.«
Fidelma schwieg und gestand damit ein, dass sie es ebenfalls hoffte.
»Mir wäre es lieber, ich könnte dich begleiten«, drängte Eadulf.
Sofort schüttelte sie den Kopf. »Das wäre töricht. Wenn wir auf jemanden stoßen, was dann? Dich als eine der frommen Schwestern auszugeben, das geht doch nun wirklich nicht. Ich aber kann mich verstellen und so vielleicht unerkannt bleiben.«
Zu überzeugen vermochte sie ihn nicht.
Fidelma nahm sich Bruder Sigerics Lageplan vor und betrachtete ihn nochmals aufmerksam. »Die Tür da oben ist nicht verschlossen?«
»Nie, soweit ich weiß«, erwiderte Bruder Sigeric.
»Und wenn ich oben bin, dann stehe ich zwischen dem Vorratsraum und der Küche?«
»Genau so ist es.«
»Also dann – frisch gewagt ist halb gewonnen.«
»Wir warten hier auf dich«, versicherte ihr Eadulf.
Bruder Sigeric wies rückwärts auf den Treffpunkt, den er ihnen gezeigt hatte. »Wir machen es uns derweil dort gemütlich. Ich bin sicher, du findest die Kammer von Inginde und Valretrade ohne Schwierigkeiten.«
Ohne ein Wort zu sagen, stieg Fidelma die Treppe zu der Tür empor. Die war
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