17 - Das Konzil der Verdammten
stehlen?«
Fidelma schüttelte den Kopf. »Abt Ségdae werden wir zunächst in Ruhe lassen … Jedenfalls solange es nicht unmittelbar um den Diebstahl geht. Ich habe das Gefühl, selbst wenn
Ségdae zu einem solchen Verbrechen fähig wäre, auf so vertrackte Weise würde er es nicht begehen. So schlau ist er nicht.
Wie dem auch sei, freuen wir uns erstmal auf das Abendessen.«
K APITEL 11
Wie verabredet erwartete sie Bruder Sigeric im scriptorium . Lange standen sie im Dunkeln beieinander, ohne ein Wort zu sprechen, und lauschten angespannt, bis rundum alles still blieb und sie sicher waren, dass alle Brüder in der Abtei schliefen. Dann zündete Bruder Sigeric eine Laterne an.
»Hast du den Lageplan vom domus feminarum ?«, flüsterte Fidelma.
Der junge Schreiber nickte, zog einen Pergamentbogen hervor und strich ihn auf dem Tisch glatt. Rasch erklärte er Fidelma, welchen Weg sie nehmen müsste, um ins Quartier zu gelangen, in dem Schwester Valretrade bislang gelebt hatte. »Ich habe den Plan so genau wie möglich gezeichnet. Wie du weißt, geht Valretrades Kammer auf den Innenhof und liegt praktisch gegenüber meiner Zelle. Mit einer Kerze haben wir einander Zeichen gegeben. Um dir die Orientierung zu erleichtern, habe ich auch heute eine brennende Kerze in mein Fenster gestellt. Achte darauf, wenn du dich dem Licht gegenüber befindest, müsstest du in Valretrades Kammer sein. Gehen wir also, ich führe dich zur unterirdischen Pforte des domus feminarum .«
»Einen Moment, Bruder.« Eadulf hielt ihn zurück. »Benutzen diesen Gang nicht alle Frauen der Schwesternschaft, wenn sie zur Andacht in die Kapelle kommen?«
»Keine Sorge.« Bruder Sigeric verstand, was ihn bekümmerte. »Um diese Zeit ist dort niemand unterwegs. Außerdem wirst du gleich sehen, der Gang ist kein gerader Korridor, mehr ein Schlängelweg durch ein Labyrinth von unterirdischen Gewölben. Es gibt genügend Winkel und Nischen, um sich zu verstecken, sollte uns jemand unerwartet entgegenkommen.«
»Jetzt ist es ohnehin zu spät, sich den Kopf über mögliche Gefahren zu zerbrechen«, meinte Fidelma. »Gehen wir lieber.«
Bruder Sigeric blies die Laterne aus. Sie verließen das scriptorium und gingen über den vom Mond beschienenen Hof,
der zwischen dem Hauptgebäude der Abtei und der Kapelle
lag. Bruder Sigeric war der Weg vertraut, und er lief so raschen
Schritts voran, dass Fidelma ihn flüsternd bat, sein Tempo zu
mäßigen. In der Kapelle blieben sie stehen. Ein Öllämpchen
brannte neben der Tür, das immer dort war als ein Zeichen
des Heiligen Geistes. Bruder Sigeric nahm die Kerze aus seiner Laterne, zündete sie am Ewigen Licht an und begab sich
dann zur Tür in der Rückwand der Kapelle. Geräuschlos zog
er mit geübtem Griff einen Riegel zurück. Hinter der Tür
führte eine hölzerne Treppe nach unten in völlige Dunkelheit.
Er ließ Fidelma und Eadulf oben warten und verschwand in
der Finsternis. Sie hörten ihn die Stufen hinabsteigen, sahen
aber nur kurz aufblitzende Lichtschimmer. Als sie ihn wenig
später im vollen Schein der Laterne wieder zu Gesicht bekamen, wich die Spannung.
»Die Luft ist rein – kommt.« Er hielt die Laterne hoch und
bedeutete ihnen, ihm nach unten zu folgen, bat aber zuvor
Eadulf, die Tür hinter ihnen zuzuziehen.
Am Fuße der Treppe hielten sie an. Es war kalt und feucht
und roch nach einer merkwürdigen Mischung aus Erde und
Fäulnis, die Fidelma sofort an die Katakomben in Rom erinnerte. Nur einem Glücksumstand war damals zu verdanken
gewesen, dass sie dort überlebt hatte.
»Es heißt, die Abtei wurde auf der alten Nekropole von Augustodunum erbaut, der Begräbnisstätte der Römer«, raunte
ihnen Bruder Sigeric zu.
Vollends dunkel war es nicht. Im schwachen Dämmerlicht
konnten sie Bögen und Pfeiler ausmachen, die in Abständen
von wenigen Fuß das Gewölbe darüber stützten. Zwischen
den Pfeilern standen Sarkophage, manche aus Marmor, andere aus Sandstein.
»Wie weit erstreckt sich diese Totenwelt?«, fragte Eadulf mit leichtem Schauder.
»Endlos, unter der ganzen Abtei«, erwiderte Bruder Sigeric. »Kommt, folgt mir.«
Zielsicher stapfte er durch ein Labyrinth von Bogengängen und Sarkophagen. Mit den verschiedenen trügerischen Abzweigungen und Nebenwegen schien er wohl vertraut. Für Fidelma hingegen stand fest, dass sie hier ohne einen erfahrenen Führer binnen weniger Minuten rettungslos verloren wären.
»Gibt es mehr als einen Ein- und Ausgang aus diesem finsteren Irrgarten?«, fragte
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