17 - Geheimagent Lennet wittert Verrat
wieder zu sich kam, war sein erster Gedanke: So, der erste Teil meines Tagesbefehls hat sich nun erledigt. Ich habe mich brav entführen lassen. Bravo, Lennet! Vorsichtig tastete er seine Gliedmaßen ab. Die Arme, die Beine, sein Rücken, alles schien soweit in Ordnung zu sein, nur daß sein ganzer Körper noch immer höllisch schmerzte.
Na, wenigstens etwas! Entführen laß ich mich ja noch, aber invalid sein für mein restliches Leben - nein danke! Er sah sich um. Wo mochte er sein? Es war ziemlich dunkel in seinem Gefängnis. Nur ein fahles Licht kam, so schien es, aus einem Loch im Boden.
Seltsam, dachte Lennet. Er lag auf einem Holzstück, das zu einer Verstrebung gehörte, mit der der ganze Raum und das Dach abgestützt wurden.
Offenbar ein Speicher oder so was, vermutete er. Aber als er den Boden näher in Augenschein nahm, merkte er, daß er sich sicher nicht in einem Speicher befand. Der Boden bestand nämlich nicht aus Holz, wie das Gerüst am Dach, sondern war aus festgestampftem Lehm. Ein Keller vielleicht? Möglich war es, denn es war recht feucht in diesem Verlies.
Vorsichtig tastete Lennet sich zu dem Loch im Boden vor, das offensichtlich die einzige Lichtquelle des Raumes bildete.
Das Loch war viereckig, ungefähr zwei Meter im Quadrat, und ziemlich tief. An seinen Wänden waren in größeren Abständen nackte Glühbirnen angebracht, die an einem Holzgerüst hingen, das die Wände des Lochs vor einem möglichen Einsturz sicherte. Den Boden des Lochs konnte Lennet nicht sehen, denn eine Art Plattform sehr weit unter ihm versperrte ihm die weitere Sicht. Von dieser Plattform aus lief ein Stahlkabel genau durch die Mitte des Lochs nach oben und verlor sich in dem Gebälk über Lennets Kopf. Erst als er genau hinsah, erkannte er, daß das Kabel über eine Rolle lief.
Diese Plattform ist bestimmt das Dach eines Aufzugs oder eines Förderkorbs, dachte der Agent, und wird mit dem Kabel durch den Schacht hochgezogen... Ich hab's! Ich bin in einem Bergwerk! Und wie um diese Annahme zu bestätigen, lief plötzlich ein Tier quer durch den Raum und verschwand hinter einer Verstrebung des Gerüsts. Es war eine Ratte.
Also in einem Bergwerk, setzte Lennet den Gedanken fort, und sehr wahrscheinlich in einem Blindschacht, der mehrere Strecken miteinander verbindet, aber keinen Ausgang nach oben hat. Kein Wunder, daß ich nicht gefesselt bin. Wenn meine Annahme stimmt und das Ding da unten ein Förderkorb ist, dann bin ich hier so sicher untergebracht wie in einem Betonbunker mit zwei Meter dicken Mauern und einer Stahltür, die zehnmal abgeschlossen ist! Na ja, ist egal. Mein Befehl lautete nur, daß ich mich entführen lassen sollte. Von Abhauen hat Montferrand nichts gesagt. Aber vielleicht sollte ich wenigstens ein bißchen so tun, als ob. Das wirkt glaubwürdiger.
Also ging er noch einmal durch sein Gefängnis, tat so, als suche er einen Ausgang und ging dann wieder zu seinem Balken zurück, den er als Liege benutzte. Er war sich ziemlich sicher, daß er beobachtet wurde, und so zeigte er probehalber ein paar Anzeichen von Hoffnungslosigkeit, stand noch einmal auf, rüttelte an den Balken, wobei er aufpaßte, daß er sich nicht verletzte, und setzte sich mit einem absichtlich lauten Seufzer wieder auf seinen Platz.
Hoffentlich hab ich jetzt nicht zuviel des Guten getan.
Jetzt spiele ich erst mal das Spiel `Mut schöpfen`.
Also schöpfte er Mut. Mittlerweile überlegte er, wieviel Zeit wohl seit dem gelungenen Kidnapping vergangen sein mochte.
Seine Uhr war weg, ebenso wie alles andere, was er in der Tasche gehabt hatte. Er hatte keine Ahnung, wie lange er ohnmächtig gewesen war.
Möglicherweise hatten seine Entführer ihm zusätzlich noch irgendein Schlafmittel verabreicht, das ihn für noch längere Zeit kampfunfähig gemacht hatte. Er hatte Hunger, aber der hielt sich in Grenzen. Auch den Durst konnte er noch aushalten - das ließ also keine Rückschlüsse zu.
Wie weit von Houlgate mochte er wohl entfernt sein? Er hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt. In Houlgate war er jedenfalls nicht mehr, denn er wußte genau, daß es in der Stadt und auch in ihrer Umgebung keine Bergwerke gab. Aber - wenn er sich recht an seinen Erdkundeunterricht erinnerte - es gab verlassene Minen in der Umgebung von Caen und in dem Gebiet, das Bas-Cotentin genannt wird. Der Feind, wer er auch sein mochte, hatte sich vielleicht ein solches verlassenes Bergwerk als Versteck ausgesucht, als geheimen
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