17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
werden.
„Du wirst ihn baldigst kennenlernen, auch ohne daß ich es dir vorhersage. Fort mit dir!“
Sie schafften ihn weg, nachdem ich Halef die Weisung gegeben hatte, an seiner Stelle den Alim zu bringen. Dieser wurde nicht in das Haus geschafft, sondern an das Feuer. Halef hatte ihm den Strick von den Füßen genommen, so daß er gehen konnte.
Der Mann hielt die Lippen zusammengepreßt und würdigte uns keines Blickes, obgleich die Todesangst aus seinen Zügen sprach.
„Ich möchte etwas von dir erfahren“, sagte ich ihm. „Du wirst es mir sagen, wenn du nicht vorziehst, abermals fünfzig aufgezählt zu erhalten. Ich muß erfahren, wie man heimlich in den Karaul des Schut gelangt.“
Noch hatte mir der Engländer nicht erzählt, wie er in den Wachtturm gekommen; aber es gab genug Gründe für mich, anzunehmen, daß dies nur auf einem verborgenen Weg geschehen könne. Diesen mußte ich erfahren. Der Alim starrte vor sich nieder und antwortete nicht.
„Nun, du hast mich nicht gehört?“ fragte ich ihn. Und als er auch jetzt schwieg, nickte ich Halef zu, welcher die Peitsche bereit hielt. Er holte zum Hieb aus. Da wich der Alim zurück, warf mir einen vor Wut und Haß blitzenden Blick zu und sagte:
„Du sollst mich nicht wieder schlagen lassen! Ich will dir antworten, aber es wird zu deinem Verderben sein. Wer sich in die Geheimnisse des Schut eindrängt, der ist verloren. Ich werde dich nicht belügen, sondern dir die Wahrheit sagen. Aber eben diese Wahrheit wird euch einem schauderhaften Tod in die Arme führen. Das soll meine Rache sein. Also, was willst du wissen?“
„Du bist ein Vertrauter des Schut?“
„Ja.“
„Kennst alle seine Geheimnisse?“
„Nicht alle, sondern nur einige.“
„Aber der Eingang zum Karaul ist dir bekannt?“
„Ich kenne ihn.“
„So beschreibe ihn mir!“
Sein Haß hatte ihn zu einer großen Unvorsichtigkeit verleitet, ohne daß er daran dachte. Er hatte mir gesagt, es drohe uns der Tod. Jedenfalls besaß der geheime Eingang irgendeine Gefahr für den Uneingeweihten, und es kam nun darauf an, zu erfahren, worin dieselbe bestehe, oder an welcher Stelle dieselbe zu erwarten sei. Es verstand sich ganz von selbst, daß er sich hüten werde, mir dies zu sagen. Ich konnte ihn weder durch Gewalt, noch durch List zwingen, es zu verraten. Meiner List stand die seinige gegenüber, welche mir unbedingt überlegen war, da ich den Gegenstand nicht kannte. Mit Gewalt war aus demselben Grund ebensowenig zu erreichen. Prügel konnte ihn nicht zwingen, mir die Wahrheit zu sagen. Er brauchte mir nur etwas vorzulügen, so mußte ich es glauben.
Es gab nur ein Mittel, das Richtige zu erfahren: ich mußte sein Gesicht genau beobachten. Ein Mann wie er, noch dazu im Zorn, hatte seine Züge gewiß nicht übermäßig in der Gewalt. Er dachte wohl überhaupt gar nicht daran, daß er sich durch das Spiel seiner Mienen verraten könne.
Aus diesem Grund stellte ich mich so, daß er, um zu mir sprechen und mich dabei ansehen zu können, sein Gesicht dem Feuer zukehren mußte. Dabei stieß ich mit einem Knüppel in den brennenden Holzhaufen, daß die Flamme hoch und hell aufloderte. Natürlich nahm ich eine möglichst unbefangene Miene an und ließ die Lider sinken, so daß sie die Augen halb bedeckten und der Blick infolgedessen weniger scharf zu sein schien, als er wirklich war.
„Den Weg durch das Gebirge kennst du nicht“, begann er. „Darum wirst du über Kolutschin reiten müssen. Die Wagenspur wird dich nach einer Furt bringen, deren Wasser eine ganz geringe Tiefe hat. Unterhalb Kolutschin vereinigt sich bei Küküs der schwarze mit dem weißen Drin und wendet sich nach Nordwest, um an Rugova vorbei zu fließen. Du folgst aber nicht dem Drin, sondern von Kolutschin führt eine Straße nach Rugova. Es ist dieselbe, welche von Obrida im Süden kommt und nach Spassa geht, um dann westwärts Skutari zu erreichen. Diese Straße zieht am linken Ufer des Drin hin, während Rugova am rechten liegt. Dort angekommen, wirst du wahrscheinlich im Khan absteigen. Der Wirt desselben heißt Kolami. Was er für ein Mann ist, brauche ich nicht zu sagen, denn du tust doch nur, was du willst. Aber daraus, daß ich dir alles so beschreibe, magst du ersehen, daß ich von deinem Untergang überzeugt bin.“
Die Worte, mit denen er mir sagte, daß ich von Kolutschin aus nicht dem Drin, sondern der Straße zu folgen habe, waren mit einer gewissen Hast ausgesprochen worden und dabei in einem so
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