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17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Goldfuchs wurde für Stojko geholt. Galingré erklärte, daß er versuchen wolle, mit uns zu gehen, denn es wurde nun Zeit, aufzubrechen und nach dem Khan zu gehen. –

SIEBENTES KAPITEL
    An der Verräter-Spalte
    Als wir aus dem Hause traten, bemerkten wir, daß die Menschenmenge vor demselben sich verringert hatte. Der ehrwürdige Alte hatte bis jetzt zu den Leuten gesprochen, aber es war ihm sichtlich nicht gelungen, den Eindruck zu verwischen, welchen die vorhergehende Hetzrede des Kiaja auf sie gemacht hatte. Sie bildeten zwei in ihren Ansichten verschiedene Trupps, von denen der eine es mit uns, der andere aber mit dem Perser hielt.
    „Onu getirler – sie bringen ihn!“ rief eine Stimme aus dem einen Haufen. „Kara Nirwan sudschuzdir; ona azadlykü werinis – Kara Nirwan ist unschuldig; gebt ihm die Freiheit!“
    „Jok, jok; katildir – nein, nein; – er ist ein Mörder!“ ertönte es von der andern Seite. „Oelmeli, schimdi, mutlak – er muß sterben, sofort, unbedingt!“
    Beide Haufen drängten herbei; ich redete dem einen bittend, dem andern drohend zu und versprach, daß die Sache eine strenge gerechte Untersuchung finden werde. Daran schloß ich die ernste Warnung vor einer zu großen Annäherung an uns, da wir jeden niederschießen würden, der es wagte, uns lästig zu fallen. Das half. Wir hielten die Waffen in den Händen. Man murrte zwar, ließ uns aber abmarschieren. Selbstverständlich folgten alle hintendrein. Niemand dachte an seine Arbeit; heute war ein Tag, wie es in Rugova noch niemals einen gegeben hatte.
    Die ‚Väter des Ortes‘ hatten sich natürlich zu uns gesellt. Der Alte schritt voran, um uns den Weg zu zeigen. Die andern wies ich an, hinter uns zu gehen. Sie sollten sich zwischen uns und dem aufrührerischen Mob befinden, dem nicht zu trauen war. So ging es in ein enges Gäßchen hinein und dann aus dem Dorf hinaus, den Berg empor.
    Die Häuser schienen vollständig verlassen zu sein. Nicht einmal ein Kind war jetzt zu sehen. Die ganze Bewohnerschaft befand sich entweder hinter uns oder bereits vor uns auf dem Berg.
    Der Perser leistete nicht den geringsten Widerstand. Er tat gar nicht verlegen und hielt auch die Augen nicht mehr geschlossen. Er schickte seinen Blick überall hin. Vermutlich erwartete er von irgend einem seiner Anhänger ein heimliches Zeichen. Deshalb hielt ich meine Augen ebenso offen, wie er die seinigen.
    Die erst vorhin angekommenen sechs Skipetaren befanden sich zu Pferd. Ich hatte das gewünscht, damit sie im Fall einer Feindseligkeit die Angreifenden gleich niederreiten konnten. Sie bildeten auf ihren schönen Rossen mit ihrer guten Bewaffnung und prächtigen Haltung einen herzerfreuenden Anblick. Es war ihnen anzusehen, daß sie sich nötigenfalls nicht scheuen würden, es mit ganz Rugova aufzunehmen.
    Hinter oder vielmehr über dem Dorf gab es einige ärmliche Felder und dann Wald, in welchen der Hohlweg, dem wir folgen mußten, tief einschnitt. Hier und da traten die Bäume zurück, um einer kleinen Alpenwiese Platz zu machen, auf welcher einige Pferde, Rinder, Ziegen und Schafe friedlich beisammen weideten. Das hinter uns liegende stille Dorf und diese Wiesen mit den Tieren hatten ein idyllisches Aussehen, welches keineswegs mit dem Zweck unsers Hierseins und mit dem Umstand harmonierte, daß Rugova der Ausgangspunkt so vieler Verbrechen gewesen war.
    Es begegnete uns kein Mensch, und das, was der Schut erwartet hatte, schien nicht einzutreffen, bis endlich, als wir fast die Höhe erreicht hatten, eine Stimme über uns vom Rand des Hohlweges laut ertönte:
    „Ima mi uprawo dwadeszeit i eschetiri godija!“
    Das war serbisch und heißt auf deutsch: „Ich bin grad vierundzwanzig Jahre alt“, oder vielmehr wörtlich: „Es gibt mir vierundzwanzig Jahre.“ Ehe ich noch zu denken vermochte, was dies zu bedeuten habe, rief die Stimme weiter:
    „Wrlo je lepo wreme!“
    Das heißt: „Es ist sehr schönes Wetter.“ Und darauf folgten die Worte:
    „Koje-li je doba?“ Worauf eine andere Stimme antwortete: „Bacsh je szad is-bilo eschetiri!“
    Ins Deutsche übertragen, lautet das: „Wie viel ist's an der Zeit? Eben jetzt hat es vier geschlagen.“
    Diese lauten Zurufe galten natürlich dem Schut. Ich legte den Stutzen an und sandte zwei Kugeln nach der Stelle empor, an welcher, dem Schall der Stimmen nach, die beiden Rufer sich befinden mußten.
    „Ah sa boga, jaoj meni – ach Gott, wehe mir!“ schrie es oben.
    Ich hatte getroffen.

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