Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Niemand setzte ein Wort dazu; aber der Schut drehte sich nach mir um und warf mir einen lodernden Blick des Hasses zu. Als er das Gesicht wieder gewendet hatte, ging ich raschen Schrittes nach vorn. Ich wollte jetzt seine Miene sehen, welche zu verstellen er sich wohl keine Mühe gab, weil er sich unbeachtet wähnte. Indem ich an ihm vorüberkam, sah ich ein Lächeln der Befriedigung bis hinauf zu seinen Augen spielen. Als er mich erblickte, verschwand es sofort.
    Es war klar, daß die Zurufe die Bestimmung gehabt hatten, ihn über seine Lage zu beruhigen. Was aber bedeuteten sie eigentlich? Daß sehr schönes Wetter sei, hatte jedenfalls nichts anderes zu sagen, als daß die Angelegenheit für ihn gut stehe. Was aber war mit dem Alter von vierundzwanzig Jahren gemeint! Bedeutete diese Zahl vielleicht Menschen, welche zu seiner Befreiung bereit seien? Wahrscheinlich! Ich konnte keine andere Erklärung finden. Und daß es vier Uhr geschlagen habe – was sollte diese vier, auf die es ganz allein ankam, sagen? Ich fragte die Gefährten über ihre Ansicht, natürlich leise, daß der Schut es nicht hörte; aber ihr Scharfsinn erwies sich als ebenso unzureichend wie der meinige. Wir konnten nichts anderes tun, als überaus vorsichtig sein.
    Bald nach diesem Zwischenfall senkten sich die Seiten des Hohlweges, und wir kamen auf ebenes Terrain. Eigentlich hatte ich Lust, den Zug halten zu lassen und mich nun einmal zu der Stelle zu begeben, nach welcher ich gezielt hatte; aber ich mußte mir sagen, daß ich niemand dort antreffen würde, da der Unverwundete ganz gewiß den Verwundeten fortgeschafft oder wenigstens versteckt hatte, und es schien mir auch nicht rätlich zu sein, mich zu entfernen, da meine Abwesenheit leicht von den uns feindlich Gesinnten zu einem Streich gegen uns benutzt werden konnte. Wir zogen also weiter.
    Nach einiger Zeit, als wir uns rechts gewendet hatten und uns noch immer im Wald befanden, mündete ein schmaler Pfad in unsern Weg. An dieser Stelle standen mehrere Männer, welche auf unser Kommen gewartet zu haben schienen.
    „Wohin führt dieser Steg?“ fragte ich sie.
    „Nach dem Karaul, Herr“, lautete die Antwort.
    „Wart ihr dort?“
    „Ja.“
    „Befinden sich jetzt noch andere Leute dort?“
    „Viele. Sie untersuchen das Gestein.“
    „Nun, was ist denn dort zu sehen?“
    „Herr, der Turm ist vollständig eingestürzt.“
    „Ist nicht irgend eine Spur von dem alten Schacht zu sehen?“
    „O ja! Hart an dem Platz, an welchem der Turm stand, hat sich die Erde tief eingesenkt, und es ist ein großes Loch entstanden, welches die Gestalt eines Chuni (Trichter) hat. Niemand aber wagt es, hinabzusteigen, weil das Gestein noch fortwährend nachbröckelt. Die Stelle könnte leicht noch tiefer einsinken.“
    Der Schut tat einige Schritte zur Seite, als ob er in den Pfad einbiegen wollte. Er erwartete dort am Karaul wohl Hilfe. Ich aber sagte:
    „Gehen wir nicht hin! Es ist für uns dort gar nichts zu finden. Wir wollen direkt nach dem Khan.“
    Als wir uns dann wieder in Bewegung gesetzt hatten, verschwanden die Männer zwischen den Bäumen, und wir hörten den lauten Ruf:
    „Natrat! Idu nami kutschi – zurück! Sie gehen hinter uns nach Hause!“
    War das etwa ein Zeichen für die vierundzwanzig Männer, welche wir zu fürchten hatten? Die Worte mußten ihnen von weitem zugerufen werden, da sie keine Zeit hatten, auf eine persönliche Botschaft zu warten, denn sie mußten auf alle Fälle schon vor uns in dem Khan eintreffen. Gern hätte ich einige der Reiter vorausgesandt, aber ich konnte sie nicht entbehren und hielt es überdies für gefährlich für sie, sie von uns fortzulassen.
    Bald endete der Wald. Der Weg führte nur noch durch dichtes Buschwerk. Dann sahen wir Felder, welche durch Reihen von Sträuchern voneinander abgegrenzt waren. Diese letzteren machten es unmöglich, einen freien Blick zu haben. Darum konnten wir diejenigen nicht sehen, welche sehr wahrscheinlich von dem Karaul her nach dem Khan eilten.
    „Wo liegt das Haus des Persers?“ fragte ich den Alten, welcher uns führte.
    „Nur fünf Minuten noch, dann wirst du es sehen“, antwortete er.
    Als diese Zeit vergangen war, erreichten wir den für die weite Umgegend so verhängnisvollen Ort. Der Weg, auf welchem wir gekommen waren, bildete die nach Prisrendi führende Straße, auf welcher Ranko mit seinen fünf Begleitern vorhin von Norden her Rugova erreicht hatte. Hart an dieser Straße lagen die Gebäude eng

Weitere Kostenlose Bücher