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17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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können.
    Noch trauriger sahen die beiden anderen Bauwerke aus. Hätten sie sich nicht gar so innig an das Haus gelehnt, so wären sie augenblicklich umgefallen.
    Die Frau verschwand in einem dieser Schuppen, ohne uns einen Blick zugeworfen zu haben. Wir stiegen vor dem Haus ab. Die Tür war verriegelt. Der Konakdschy schlug mit dem Gewehrkolben dagegen.
    Erst nach längerer Zeit wurde geöffnet, und die Frau trat in die Spalte.
    Es gibt ein Märchen von einer alten Zauberin, welche – tief im Wald lebend – einen jeden, der sich zu ihr verirrte, in den Backofen steckt, um ihn zu braten und dann zu verspeisen. An diese Hexe mußte ich unwillkürlich denken, als ich jetzt die Frau erblickte. Sollte ihr Name Guszka, Gans, für ihre Individualität bezeichnet sein, so war sie doch nur mit einer jener steinalten Gänse zu vergleichen, welche auf jeden Fremden wie bissige Kettenhunde losfahren und nur darum nicht mit Borsdorfer Äpfeln und Beifußzweigen in Berührung kommen, weil ihr Fleisch zu hart geworden ist.
    Sie war erschrecklich lang und ebenso erschrecklich dürr. Um uns durch die Tür betrachten zu können, mußte ihr Ober- zu dem Unterkörper fast einen rechten Winkel bilden. Ihr Gesicht war auch sehr in die Länge gezogen; es war überhaupt alles an ihr lang. Die scharfe, sichelförmig gebogene Nase, das spitze, von unten nach oben strebende Kinn, der breite, lippen- und zahnlose Mund, die großen, lappenartigen Ohren, die eng beisammenstehenden kleinen, wimperlosen und rot geränderten Augen, die tiefen Falten, in denen der Schmutz zu greifen war: das alles wirkte so abstoßend wie möglich. Den Kopf trug sie unbedeckt. Das dünne Haar, dessen Boden fischschuppenartig durchschimmerte, war nicht geflochten. Es hing in wirren, verfilzten Strähnen herab. Denkt man sich dazu ein unsäglich schmutziges Hemd und eine ebenso saubere, unten am Knöchel zugebundene Frauenhose und zwei nackte, skelettartige Füße, welche noch nie mit einem Tropfen Wasser in Berührung gekommen zu sein schienen, so wird man glauben, daß diese unvergleichliche Guszka ganz das Aussehen einer aus dem klassischen Altertum übriggebliebenen Gorgo oder Furie hatte.
    Und als sie jetzt zu reden begann, zuckte ich beinahe zusammen. Das klang ganz genau wie die heisere Stimme einer Krähe, die sich über irgend etwas erbost.
    „Was wollt ihr? Wer seid ihr? Warum haltet ihr an?“ krähte sie. „Reitet weiter!“
    Sie tat, als ob sie die Tür verriegeln wollte; unser Führer aber schob sich dazwischen und sagte:
    „Weiterreiten? Nein, das tun wir nicht. Wir bleiben hier.“
    „Das geht nicht! Das kann nicht gehen! Ihr habt hier nichts zu suchen. Ich nehme keine Fremden bei mir auf!“
    „Ich bin dir doch nicht fremd. Du wirst mich ganz gewiß kennen!“
    „Aber die andern nicht.“
    „Sie sind meine Freunde.“
    „Die meinigen nicht.“
    Sie schob ihn hinaus und er sie hinein, natürlich nur zum Schein.
    „Sei doch verständig, Guszka!“ bat er. „Wir verlangen von dir ja nichts umsonst. Wir werden dir alles gut und ehrlich bezahlen.“
    Das schien zu wirken, wenigstens sollten wir so denken. Sie nahm eine weniger abwehrende Haltung an und fragte:
    „Bezahlen wollt ihr? Ja, das ist was anderes! Dann kann ich es mir wenigstens überlegen, ob ich euch hier bei mir bleiben lasse.“
    „Da gibt es ja gar nichts zu überlegen. Wir verlangen von dir nur ein Obdach und etwas zu essen.“
    „Ist das etwa nicht genug?“
    „Das ist mehr als genug; das ist zuviel“, sagte ich. „Speise und Trank verlangen wir nicht von dir und einen Platz zum Schlafen werden wir uns selbst suchen. Hast du keinen Platz im Haus, so schlafen wir im Freien.“
    Etwas aus diesen krallenähnlichen, von Schmutz starrenden Fingern zu essen, das war ein Ding der Unmöglichkeit. Und da drinnen schlafen? Um keinen Preis! Die Stube sah ganz so aus, als ob sie sich jener springenden, wibbelnden und kribbelnden, stechenden, nagenden und beißenden Einquartierung erfreue, welche selbst im vornehmsten Haus des Orients immer vorhanden ist. Hier aber in dieser Bude hüpften, krochen, zappelten und marschierten jene blutdürstigen Myrmidonen jedenfalls in unzählbaren Scharen und Schwadronen umher.
    Die Beschreibung einer Reise durch den duftumflossenen, sagenumwobenen, sonnigen Orient mag wohl angenehm zu lesen sein; aber diese Reise selbst machen, das ist etwas ganz anderes. Das Schicklichkeitsgefühl verbietet oft, grad von den eigenartigen, charakteristischen

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