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17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hatte doppelte Manneshöhe und gewährte uns Schutz gegen einen direkten Angriff des Raubtieres. Der Stein war dicht mit Moos bewachsen und bot uns eine ganz behagliche Unterlage. Wir legten uns nebeneinander hin und warteten nun – nicht der Dinge, sondern des Dinges, welches da kommen sollte.
    „Sihdi“, flüsterte Halef mir zu, „wäre es denn nicht besser, wir hätten uns getrennt?“
    „Freilich; wir könnten da den Bären von zwei Seiten nehmen.“
    „So wollen wir es doch tun!“
    „Nein, denn du unterschätzt die Gefahr, und das ist stets ein Fehler. Dein Selbstvertrauen kann dich leicht verleiten, eine Unvorsichtigkeit zu begehen. Vor allen Dingen verlange ich, daß du nur dann schießt, wenn ich es dir erlaube.“
    „So willst du vor mir schießen?“
    „Ja, weil meine Kugel das Fell sicher durchdringt, während dies bei der deinigen sehr zweifelhaft ist.“
    „Das tut mir sehr leid, Sihdi, denn ich wollte es sein, der ihn erlegt. Welch ein Ruhm kann es für mich sein, wenn ich meiner Hanneh, der herrlichsten der Frauen, erzähle, daß du das Tier getötet hast? Ich will ihr sagen können, daß er durch meine Kugel fiel.“
    „Das wirst du vielleicht können, denn es steht zu erwarten, daß eine einzige Kugel nicht genügt. Dringt sie dem Bären nicht sofort ins Leben, so kommt er sicher hierher, um uns anzugreifen. Dann lassen wir ihn ganz nahe heran, und wenn er sich an dem Stein aufrichtet, um ihn zu erklettern, kannst du ihm mit aller Gemütlichkeit deine Kugel in den Rachen oder gar in das Auge geben.“
    „Das sagst du nur, um mich zu trösten. Ich weiß aber, daß du ihn schon mit dem ersten Schuß erlegen wirst. Wann hätte ich dich einmal einen Fehlschuß tun sehen!“
    „Ja, fehlen werde ich nicht, aber ich zweifle sehr, daß ich die richtige Stelle treffe. Wir haben von hier aus ein schlechtes Zielen.“
    „Das denke ich nicht. Das Pferd liegt ja kaum fünfzehn Schritt von uns!“
    „Dennoch können wir die Umrisse des Bären nicht deutlich erkennen, weil wir von oben herab gegen den dunkeln Boden blicken. Lägen wir unten am Boden, so würde sich sein Körper besser von der Erde abzeichnen. Wäre ich allein, so läge ich ganz gewiß unten im Gras.“
    „So hast du meinetwegen dich hier herauf gemacht?“
    „Ja, zu deiner Sicherheit.“
    „Oho! Wenn es sein muß, nehme ich diesen Bären beim Schwanz und zwinge ihn, rückwärts mit mir spazierenzugehen.“
    „Eben diese Dreistigkeit ist es, welche mich beunruhigt. Es könnte leicht kommen, daß der Bär allerdings einen Spaziergang unternimmt, aber mit dem Hadschi Halef Omar im Rachen. Also, schieße ja nicht vor mir! Und nun wollen wir schweigen. Wenn wir sprechen, können wir seine Annäherung nicht bemerken.“
    „Von weitem wirst du ihn überhaupt nicht bemerken können“, meinte Halef. „Raubtiere pflegen leise zu gehen. Ich weiß nicht, ob der Bär die Gewohnheit des Löwen hat, welcher in seiner stolzen Furchtlosigkeit sein Nahen bereits aus weiter Ferne durch lautes Brüllen verkündet.“
    „Was das betrifft, so hat der Bär nicht ein solch aufrichtiges Gemüt. Er verhält sich überaus schweigsam. Nur wenn er sich einmal bei ungeheuer guter Laune befindet, oder wenn ihn irgend etwas verdrießt, läßt er ein vergnügtes oder mürrisches Brummen hören.“
    „So kann er gar nicht brüllen?“
    „O doch, obgleich seine Stimmwerkzeuge nicht zur Hervorbringung der Töne eines Löwen eingerichtet sind. Wenn er sich in höchster Wut befindet, stößt er auch eine Art von Brüllen aus, welches um so schrecklicher klingt, als es ihm sonst nicht eigen ist. Übrigens ist grad der stille Grimm, mit welchem ein gereizter Bär sich zu rächen sucht, fürchterlicher, als die laute Wut anderer Raubtiere. Wollen hoffen, dies heute nicht zu erfahren.“
    Von jetzt an wurde nicht mehr gesprochen. Wir horchten lautlos in die Nacht hinaus. Die Luft rauschte über den Wald dahin. Das klang wie das Rauschen eines entfernten Wasserfalles. Da dieses Geräusch in ganz gleicher Stärke und ununterbrochen währte, so war es sehr leicht, jeden anderen fremdartigen Laut von demselben zu unterscheiden.
    Unsere Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Die Uhr, deren Zeiger ich mit der Fingerspitze befühlte, sagte mir, daß es bereits Mitternacht sei.
    „Er kommt gar nicht“, flüsterte Halef. „Wir haben uns vergebens gefreut. Ich werde wohl niemals –“
    Er hielt inne, denn er hatte, wie ich, das Geräusch eines rollenden Steines

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