17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
warteten und horchten eine lange Weile mit gespanntester Aufmerksamkeit – vergeblich! Da plötzlich erklang ein Schrei vom Haus herüber, noch einer und noch einer, und dann erschallte es im Ton der Verzweiflung:
„Laßt mich, laßt mich los! Fort mit diesen Qualen, fort, fort! Hilfe, Hilfe!“
„Das ist der Mübarek!“ sagte Halef.
Ich wollte antworten, tat es aber nicht, denn jetzt hörten wir aus derselben Richtung zwei schnell aufeinander folgende Schüsse. Ich kannte diesen eigentümlich hohlen Knall; es war Oscos Czernagora-Gewehr.
„Der Bär ist drüben beim Schuppen“, rief ich Halef mit gedämpfter Stimme zu. „Komm schnell herab!“
„Hurra! Da bekommen wir ihn doch noch!“ rief der Kleine.
Er sprang herab, stürzte zur Erde, raffte sich wieder auf und rannte an mir vorüber. Ich folgte ihm mit gleicher Eile. Aber als ich einige Schritte getan hatte, fühlte ich einen Stich im Fußgelenk. Der Sprung vom Felsen herab schien meinen Fuß angegriffen zu haben. Ich mußte also meinen Galopp zum schnellen Trab mäßigen. Dabei schritt ich mit dem gesunden Fuß weit aus und zog den kranken, nur mit der Spitze auftretend, vorsichtig nach.
Ein einzelner, unbeschreiblicher Schrei schrillte durch die nächtliche Stille. War das der Mübarek oder war es Halef, welcher jetzt das Haus erreicht haben mußte? Sollte der unvorsichtige Hadschi dem Bären grad in die Pranken gelaufen sein! Mich erfaßte eine Angst um den Kleinen, welche mir den Schweiß aus allen Poren trieb. Da gab es keine Rücksicht mehr auf meinen Fuß; ich rannte weiter, so schnell ich es vermochte.
Jetzt ertönten auch Oscos und Omars Stimmen. Wieder ein Schuß! Unglücklicherweise lag ein Stein in meinem Weg. Ich konnte ihn nicht sehen, stürzte über ihn hinweg und schlug, so lang ich war, auf den Boden nieder. Meine Büchse wurde mir aus der Hand geprellt und flog – wohin, das sah ich nicht.
Rasch raffte ich mich auf und blickte rings umher. Die Büchse war nicht zu sehen. Ich hatte keine Zeit, sie mühsam dadurch zu suchen, daß ich den Boden betastete. Ich wähnte den Hadschi in Gefahr, und da durfte ich keinen Augenblick verlieren. Für ihn hätte ich mich auf mehr als einen Bären geworfen. Darum eilte ich weiter und zog das Messer aus dem Gürtel.
Es war mein alter, treuer Bowie-Kneif mit langer, krumm gebogener Klinge, welcher mich so viele Jahre treu begleitet hatte. Ein Stoß mit diesem Messer brachte, wenn richtig gezielt und kräftig geführt, selbst einem Grizzly den augenblicklichen Tod; das hatte ich erprobt.
Natürlich war mein Lauf nach dem Schuppen gerichtet.
„Osco, wo ist der Bär, wo?“ rief ich schon von weitem.
„Draußen, draußen!“ antwortete er von innen.
„War Halef da?“
„Ja, aber er ist wieder dem Bären nach.“
Jetzt stand ich an der Holzwand. Zwei Bretter waren aus derselben gerissen.
„Hier wollte der Bär herein“, sagte Osco. „Ich habe ihm zwei Kugeln gegeben.“
„Und ihn getroffen?“
„Ich weiß es nicht. Die Bretter krachten erst dann zusammen, als ich bereits geschossen hatte.“
„Nach welcher Seite ist Halef?“
„Nach rechts, wie wir hörten.“
„Bleibt drin und paßt auf! Das Tier könnte wiederkommen.“
Ich rannte in der angegebenen Richtung weiter. Die Haustür war offen; es stand jemand unter derselben; das sah ich an dem Schatten, welchen die Gestalt nach draußen warf, weil drinnen Späne brannten.
Ein menschlicher Körper lag da. Ich stolperte über ihn hinweg, kam aber nicht zum Sturz.
„Schieß doch, schieß, schieß!“ hörte ich zwei Stimmen aus der Stube rufen.
Ich war nur noch zehn Schritte von der Tür und erkannte den, welcher unter ihr stand. Es war Halef. Er hatte sein Gewehr angelegt und es in die Stube gerichtet. Sein Schuß krachte. Dann flog er heraus und stürzte zu Boden, als ob er von einem kräftigen Arm herausgeschleudert worden. Im nächsten Augenblick erschien der Bär, drängte sich auf allen vieren durch die enge, niedrige Tür ins Freie und richtete sich schnell wieder auf.
Auch Halef war sogleich wieder aufgesprungen. Beide, er und der Bär, standen sich drohend gegenüber, nur drei Schritte voneinander entfernt. Der Hadschi drehte das Gewehr um und holte zum Kolbenschlag aus. Da erkannte er mich, denn ich befand mich jetzt im Schein des Lichtes.
„O Sihdi, ich habe keine Kugel mehr!“ schrie er mir zu.
Das alles war viel, viel schneller gegangen, als es erzählt oder gelesen werden kann.
„Spring zurück!
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