17 Tante Dimity und die Dorfhexe Dorfhexe (Aunt Dimity and the Village Witch)
als hätten sie eine Seele.«
Wer sagt, dass sie keine haben? Wie auch immer, aber ich weiß, was du meinst. Als ich ihr Werk zum ersten Mal sah, fühlte ich mich unwillkürlich an einige Zeilen aus William Blakes » Weissagungen der Unschuld« erinnert:
Die Welt in einem Sandkorn sehen
Und den Himmel in einer Feldblume.
Halte die Unendlichkeit in deiner Hand
Und die Ewigkeit in einer Stunde.
Mae Bowen blickt ins Herz jedes Lebewesens, das sie malt, und hilft uns zu sehen, was sie sieht. Auch wenn ich es nicht für nötig halte, eine Glaubensrichtung auf ihrem Werk aufzubauen, erstaunt es mich nicht zu hören, dass andere dieses Bedürfnis haben. Ich muss sagen, dass mir Miss Bowen furchtbar leidtut. Hört sich an, als seien ihre Anbeter eine wahre Pest.
» Grant und Charles zufolge sind sie wie eine Heuschreckenplage, und ich möchte nicht, dass sie über Finch herfallen.«
Dass Finch möglicherweise in Mitleidenschaft gezogen wird, wiegt für mich weniger schwer als das, was Mae Bowen offensichtlich schon erleiden musste. Versetze dich in ihre Lage, Lori. Stell dir vor, du wirst von Fremden belagert, die Ansprüche an dich stellen, zu denen sie keinerlei Recht haben. Sie erheben Anspruch auf deine Zeit, deine Weisheit, deine Leidenschaft, deine Privatsphäre. Das würde den geistig gesündesten Menschen in den Wahnsinn treiben.
» Und genau aus diesem Grund hätte Mae Bowen besser auf ihrem umzäunten Anwesen bleiben sollen«, sagte ich. » Dort war sie sicher. Warum hat sie sich bloß entschlossen, in Pussywillows zu wohnen, wo sie auf dem Präsentierteller sitzt?«
Es gibt wichtigere Dinge als Sicherheit, Lori. Vielleicht ist Miss Bowen es leid, isoliert zu leben. Vielleicht sehnt sie sich nach den Anregungen des Dorflebens.
» Wenn die Bowenisten herausfinden, wo sie wohnt«, sagte ich düster, » wird sie mehr Anregungen bekommen, als ihr lieb ist.«
Wenn ihr Geheimnis jedoch gewahrt bleibt, werden die Bowenisten nie erfahren, dass sie hier ist.
» Nie ist ein dehnbarer Begriff«, sagte ich verdrießlich, » vor allem in Finch, wo sich Neuigkeiten schneller verbreiten als ein Buschfeuer. Peggy Taxmans Getuschel kann man auf der ganzen Welt hören, noch dazu wo sie Zugang zu Mae Bowens Post hat!« Ich starrte finster in die Flammen. » Von mir aus kannst du mich für eine Spielverderberin halten, Dimity, aber ich mag Finch so, wie es ist. Ich will nicht erleben, wie sich Sallys Teestube in ein vegetarisches Café verwandelt. Und ich will auch nicht, dass aus dem Pub der Peacocks eine Vinothek wird. Ich will, dass man im Emporium weiter Tee und Zucker und Milch kaufen kann, und keine Wünschelruten und Kristallkugeln und Tarotkarten. Und genauso will ich natürlich, dass Mae Bowen in Frieden leben kann, aber Frieden ist genau das, was sie nicht haben wird, wenn diese Bekloppten sie hier aufspüren. Wenn das passiert, können sie, wann immer es ihnen beliebt, an ihre Haustür klopfen. In ihrem Cottage ist sie ihnen schutzlos ausgeliefert. Genau wie Finch.«
Eine Weile hielt die Schrift inne, als müsste Dimity erst ihre Gedanken ordnen. Dann begann sie wieder ruhig und stetig über die Seite zu fließen.
Jedenfalls ist es jetzt zu spät, wegen Mrs Thistle zu schäumen, meine Liebe, im Übrigen glaube ich, dass es keinen Grund dazu gibt.
» Wenn die Zerstörung von Finch kein Grund ist, zu schäumen, dann weiß ich auch nicht!«, entgegnete ich scharf.
Aber du hast keinerlei Anlass zu glauben, dass Finch zerstört wird. Du hast keinerlei Anlass, irgendetwas in dieser Hinsicht zu glauben. Du weißt noch nicht einmal, ob Amelia Thistle tatsächlich Mae Bowen ist.
» Charles und Grant haben Stein und Bein geschworen, dass sie es ist!«
Auch Charles und Grant könnten sich irren. Du hast ja selbst gesagt, dass die beiden Frauen Doppelgängerinnen oder eineiige Zwillinge sein könnten. Bevor du zu den Waffen greifst und dich aufschwingst, Finch vor Mae Bowens übereifrigen Jüngern zu verteidigen, wäre es da nicht klüger, erst herauszufinden, ob Grant und Charles recht haben?
» Ich könnte Bill bitten, Mrs Thistles Identität zu überprüfen und einen Hintergrund-Check zu veranlassen«, sagte ich kleinlaut.
Nein, das wirst du brav sein lassen. Mae Bowen ist keine Kriminelle und hat es nicht verdient, wie eine solche behandelt zu werden.
» Da hast du recht«, sagte ich einsichtig. » Ich wäre keinen Deut besser als die Bowenisten, wenn ich ohne ihr Wissen in ihrem Privatleben herumwühlen
Weitere Kostenlose Bücher