1702 - Rückkehr der Verdammten
Bewegung.
Sheila war da. Sie hatte ein Tuch um ihre Schulter gelegt und fragte: »Was ist denn los?«
»Es gibt den Geruch tatsächlich.«
Sie stieß kurz die Luft aus. »Und?«
»Jetzt suchen wir den Verursacher, denn wir sind der Meinung, dass er sich noch in der Nähe aufhält. Hier auf dem Grundstück, meine ich.«
»Wo sind denn Johnny und Bill?«
»Sie suchen das Gelände hinter dem Haus ab.«
Sheila schüttelte den Kopf. »Uns bleibt auch nichts erspart, wirklich nicht.«
Darauf erhielt sie von mir keine Antwort, denn ich machte mich auf die Suche.
Den Weg zum Tor war ich unzählige Male gefahren und auch in umgekehrter Richtung. Jetzt ging ich ihn und musste daran denken, dass es auf dem Grundstück der Conollys schon manch harten Kampf gegen dämonische Mächte gegeben hatte.
Momentan lief da nichts. Ich hatte zwar nicht den Eindruck, die Ruhe vor dem Sturm zu erleben, aber mein Gefühl sagte mir, dass ich mit meiner Aktion nicht so schlecht lag.
Je mehr Meter ich zurücklegte, umso klarer wurde die Luft. Als ich etwa die Hälfte der Strecke hinter mich gebracht hatte, änderte sich dies.
Der Gestank war wieder da!
Ich stoppte und blieb zunächst mal stehen. Dann drehte ich mich um. Der Vorgarten war nicht dunkel, aber auch nicht richtig hell. Es gab die hellen Inseln aus Licht, aber es gab auch dunkle Schattenstellen, die praktisch uneinsehbar waren. Hinzu kamen die Gewächse. Die kleinen Bäume, die Büsche und ab und zu auch ein paar Hecken, die Beete umfriedeten.
Er war noch da. Das stand für mich fest. Aber ich hatte bisher nur so etwas wie einen Hauch wahrgenommen, und das sollte sich ändern. Deshalb setzte ich meinen Weg fort – und hatte das Glück, dass der Gestank intensiver wurde. Irgendwo in der Nähe musste der Eindringling lauern.
Ich schaute nach rechts und hatte vor, den Weg in diese Richtung hin zu verlassen. Zwei Lampen standen versetzt zueinander. Zwischen ihnen befand sich eine dunkle glatte Fläche. Und genau dort sah ich die Bewegung.
Zuerst glaubte ich, mich getäuscht zu haben, aber sie war vorhanden, und ich roch, dass sich der Gestank verstärkte.
Viel sah ich nicht, weil sich die andere Person davor hütete, in den Bereich des Lichts zu geraten, aber ich war mir sicher, dass sie mich entdeckt hatte.
So wie das Spiel jetzt lief, wollte ich es nicht mehr länger mitmachen. Ich wollte die Regie selbst führen. Auf der Stelle blieb ich stehen, aber ich holte meine Lampe hervor, wartete noch einige Sekunden ab, bevor ich den Strahl nach vorn schickte.
Er traf!
Ja, es war ein Mann, der da leicht schwankend auf mich zukam und auch diesen Gestank absonderte. Ein Ghoul war es nicht, aber ich wollte und musste erst sein Gesicht sehen, deshalb hob ich die Lampe ein wenig an, damit der helle Kreis das Gesicht erfasste.
Das trat auch ein.
Noch in derselben Sekunde zuckte ich zusammen, denn jetzt sah ich das Gesicht voll.
Es war so schrecklich, dass sich bei diesem Anblick mein Magen zusammenzog …
***
Es war ein menschliches Gesicht, daran gab es keinen Zweifel. Nur bot es keinen normalen Anblick, denn dieses Gesicht war durch einige Geschwüre gezeichnet. Und nicht nur das. Sie waren zudem aufgeplatzt und sahen aus wie nasse Flecken.
Auf der Stirn sah ich zwei, auf den Wangen und auch im dünnen Stoppelhaar schimmerte es feucht.
Das ist kein Ghoul!, schoss es mir durch den Kopf.
Was war es dann?
Meine Gedanken wurden unterbrochen, weil mich die Gestalt plötzlich ansprach und sogar meinen Namen sagte.
»John Sinclair …?«
»Das bin ich.«
Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Ich habe dich gefunden.«
»Stimmt. Und jetzt?«
»Werde ich zu dir kommen und dich umarmen. Ich will dich haben, dich ganz …«
Es waren Sätze, die ich nicht richtig verstand. Einen Angriff hätte ich als normal empfunden, aber von einer Umarmung zu sprechen, das war völlig absurd. Zudem wollte ich nicht umarmt werden, auch wenn der Mann beide Arme ausstreckte und die Finger seiner Hände so bewegte, als wollte er mich locken.
»Ich werde dir den Kuss geben. Es ist der Pestkuss. Ich werde dir die Seuche einhauchen.«
In diesem Moment sah ich klar. Jetzt wusste ich, was mit dem Mann passiert war. Es war kein Ghoul, es war ein von Pestgeschwüren gezeichneter Mensch!
Pest!
Dieses eine Wort schrillte wie ein Alarmsignal durch meinen Kopf. Die schlimmste Seuche des Mittelalters. Damals der Schrecken der Menschheit. Eine Epidemie, die auch der Schwarze Tod genannt wurde,
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