1703 - So grausam, schön und tödlich
kenne die Leute. Bei ihm hatte ich den Eindruck, als würde er auf heißen Kohlen sitzen. Das habe ich an seinem Blick deutlich erkannt. Wer länger hier arbeitet, der versteht es, seine Gäste einzuschätzen, und bei ihm hatte man das Gefühl, als wäre er nicht zum Vergnügen hier.«
»Man kann sich auch täuschen.«
Der Rothaarige hob die Schultern, drehte sich weg und widmete sich wieder seinem Job.
Jane war es egal, was der Knabe dachte. Sie wunderte sich nur darüber, dass John noch immer unterwegs war. Das musste Gründe haben, und sie dachte auch daran, dass er eventuell auf etwas gestoßen war, das den Fall hier weiterbringen würde. Da gab es eigentlich nur eines. Er musste die Vampire oder Blutsaugerinnen entdeckt haben. Denn zum Spazierengehen luden die Gegend und auch Wetter nicht eben ein.
Beim Eintreten hatten sie und John ein Lokal erlebt, in dem nicht alle Tische besetzt waren. Das hatte sich geändert. Viele Passanten suchten jetzt doch die Wärme. Die männliche Bedienung hatte Unterstützung bekommen, und das von einer jungen Frau, deren ebenfalls roten Haare wie eine Mähne bis auf den Rücken hing. Sie hatte sich in eine enge schwarze Hose und ein T-Shirt geklemmt, das ebenfalls sehr eng saß. Als Aufdruck war ein Totenschädel zu sehen, der eine knallrote Zunge aus seinem Maul weit nach vorn streckte.
Die Geschmäcker waren eben verschieden. Jane würde so ein Oberteil nie tragen.
Sie schaute auf die Uhr. Wie lange John weg war, das konnte sie nur schätzen. Allmählich legte sie ihre glatte Stirn in Falten. So geheuer war ihr das nicht.
Dafür wurde ihr dann der Drink serviert. In einem Glas, das aussah wie eine Blume. In einer weiten Öffnung schimmerte der Drink in einer Farbe zwischen Rot und Orange.
»Danke, und was ist das jetzt?«
»Du kannst es probieren.«
Da das Ende eines geknickten Strohhalms auf Jane wies, klemmte sie es zwischen die Lippen. Sie saugte den ersten Schluck in ihren Mund und probierte.
Der Drink schmeckte gut. Er war nicht zu süß und auch nicht zu bitter. Genau die Mitte.
»Und?«
Jane Collins nickte. »Ja, nicht schlecht. Wirklich, kann man trinken.«
»Habe ich doch gesagt.« Er zwinkerte Jane zu und widmete sich wieder seinem Job.
Jane saugte noch einige Schlucke aus dem Glas, und sie gab zu, dass sie anfing, unruhig zu werden. John war eigentlich schon zu lange weg. Er hätte ihr längst Bescheid geben können, schließlich besaßen beide ein Handy.
Sie wusste nicht, ob sie besorgt sein oder sich einfach nur ärgern sollte, doch das alles war in den folgenden Sekunden vergessen, denn etwas passierte, womit sie nicht gerechnet hatte.
Jane hatte nicht nur starr auf dem Hocker gesessen, sondern ihre Blicke immer wieder durch die Kneipe streifen lassen. Dabei hatte sie auch die Tür nicht ausgelassen, und genau dorthin schaute sie jetzt auch.
Da war nichts, und sie wollte ihren Blick schon wieder abwenden, als die Tür geöffnet wurde und ein neuer Gast den Raum betrat.
Es war eine Frau!
Jane schoss das Blut in den Kopf, denn schon beim Eintreten hatte sie die Person erkannt.
Es war die Vampirin Justine Cavallo!
***
Jane Collins wusste nicht, was sie denken sollte. Sie kam sich vor wie gegen den Kopf geschlagen, und so etwas wie ein hartes Lachen drang über ihre Lippen.
Damit hatte sie nicht gerechnet!
Aber es war Justine Cavallo, daran gab es nichts zu rütteln. So wie sie aussah, das war einmalig. Die künstliche Schönheit, das wilde blonde Haar, der schwarze hauchdünne Lederanzug, die geschmeidigen Bewegungen, das alles passte perfekt auf sie.
Jane Collins fragte sich, wie sie Justines Erscheinen einordnen sollte. Sich darüber freuen, dass sie eventuell eine Verbündete bekommen hatte? Oder sich darüber ärgern, weil sie in Dinge eingriff, die eigentlich oder nach Janes Meinung für sie tabu hätten sein müssen.
Egal wie sie es drehte, es passte ihr nicht. Es konnte ihr einfach nicht passen.
Aber die Cavallo war sicher nicht grundlos erschienen. Zwar hatte Jane keine Blutsauger gesehen, aber der Verdacht, dass sie sich in der Nähe aufhielten, hatte sich durch Justines Erscheinen verhärtet.
Es war Janes Glück, dass sie ziemlich in der Ecke saß. Justine hatte das Lokal recht forsch betreten und weder nach links und rechts geschaut. Sie musste hier bekannt sein, sonst hätte sie sich nicht mit einer solchen Sicherheit bewegt.
Der Theke warf sie keinen Blick zu, während sie das Lokal durchschritt. Jane wollte sie unbedingt im
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