1704 - Teuflische Abrechnung
es gesagt habe.«
»Kannst du nicht deutlicher werden?«
Er schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Ich habe nur ein Gefühl, und man kann da von einem bösen Omen sprechen.«
»Das hätte auch dein Freund Sinclair sagen können.«
»Ich weiß. Ich habe sogar schon überlegt, ob ich ihn mit meinen Gedanken belästigen soll, doch das habe ich sein gelassen. Es ist besser so. Ich bin froh, dass du mir zugehört hast. Es ist wirklich nicht einfach für mich, und ich spüre den Druck auch jetzt noch wie eine starke Last. Daran kann ich leider nichts ändern. Ich hoffe ja, dass ich bald wieder normal denken kann.« Er holte tief Atem. »Als ich diese junge Frau tot am Ufer liegen sah, da hatte ich den Wunsch, meinen Job einfach hinzuschmeißen. Ich kam mir wie ein Verlierer vor. Ich musste mich schon hart zusammenreißen, dass meine Mitarbeiter nichts merkten. Kann sein, dass es doch passierte, aber das ist mir egal. Dieser Suizid ist für mich einfach nur frustrierend gewesen. Da denkt man, etwas erreicht zu haben, und dann kommt so was.«
»Wir sind Menschen und nicht perfekt. Daran solltest du immer denken.«
Tanner schaute in die Augen seiner Frau. Sie sahen noch immer aus wie vor langen Jahren, als er sie kennengelernt hatte. Der Blick zeigte ihm auch, dass sie zusammenhielten, in guten wie in schlechten Zeiten.
Verdammt, jetzt werde ich noch sentimental!, schoss es ihm durch den Kopf.
»Bitte, mach dir keinen Kopf«, sagte Kate. »Du kannst nicht den Retter der Welt spielen.«
»Das ist mir schon klar. Aber dir wäre es sicher auch nicht anders ergangen.«
»Das kann schon sein.«
Er winkte scharf ab. »Ich werde mir jetzt noch einen Whisky genehmigen und später ins Bett gehen.«
»Ich lege mich jetzt schon hin.«
»Tu das.«
Kate stand auf. Sie trat an ihren Mann heran und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Versuche bitte abzuschalten. Alles andere macht dich nur fertig. Versprichst du mir das?«
»Ja, ich werde es versuchen.«
Kate zog sich zurück. Der Chiefinspektor blieb noch so lange in der Küche sitzen, bis er das Bier getrunken hatte. Er stellte die leere Flasche und das ebenfalls leere Glas weg, bevor er in das Wohnzimmer ging, wo sein Ohrensessel stand. Zuvor holte er sich die Whiskyflasche und das Glas. Nach dem Einschenken wandte er den Kopf zum Fenster. Es lag nicht im Schein der Stehlampe, sondern im Halbdunkel, und er schaute auf die nie abreißende Gardine aus Schnee, die aus dem Himmel fiel. Das Wetter war nicht gut für London. Es kam schon so früh. Wenn der Schnee liegen blieb, würde es in der Stadt bald zu einem großen Stillstand kommen.
Daran wollte Tanner im Moment nicht denken. Er gönnte sich einen größeren Schluck, streckte die Beine aus. Er dachte daran, ob er nicht zu alt für den Job war. Wenn er aufgab, würde man ihm wohl keine Probleme bereiten.
Manchmal überkamen ihn wieder die quälenden Gedanken. Er hatte sie bisher stets zurückgestellt, an diesem Abend allerdings fiel es ihm nicht leicht. Er konnte die tote Ellen Taylor nicht vergessen.
Er trank ein zweites Glas leer. Im Zimmer hatte sich nichts verändert. Nach wie vor war es still. Das Licht gab einen honiggelben Glanz ab, der ihn nur streifte. Die Tür lag im Halbdunkel, und er selbst kam sich vor wie eine Gestalt aus Stein.
Die übliche Stille umgab ihn. Von seiner Frau hörte er nichts. Sie lag im Bett und schlief. Abende wie diese waren ihr nicht fremd. Öfter hatte ihr Mann allein im Wohnzimmer gesessen und den Tag ausklingen lassen. Da durfte er nicht gestört werden, denn die Fälle, die er zu bearbeiten hatte, gingen ihm schon an die Nieren. Das waren manchmal regelrechte Hammerschläge.
Es geschah urplötzlich und ohne Übergang.
Tanner sah einen Schatten, eine Bewegung, ein Huschen. Und er nahm es deshalb wahr, weil es durch den Schein der Lampe glitt wie ein schwacher Nebelstreifen oder der dünne Rauchfaden aus einer Zigarre, die sich Tanner hin und wieder gönnte.
Er schüttelte den Kopf.
Die Bewegung war wieder verschwunden oder hatte sich aufgelöst. So genau hatte er das nicht mit bekommen.
Tanner stellte das Whiskyglas auf den schmalen Tisch neben dem Sessel und wischte über seine Augen. Er musste darüber nachdenken, was er da gesehen hatte. Hatten ihm seine strapazierten Nerven einen Streich gespielt? So weit war es schon mit ihm gekommen, und er dachte daran, dass er wirklich reif für die Pensionierung war.
Auf der anderen Seite kam ihm in den Sinn, dass er sich
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