1704 - Teuflische Abrechnung
sein.
Ihr Mann kehrte zurück. Er räusperte sich, nickte Kate zu und setzte sich auf seinen Platz. Jetzt trug er eine braune Cordhose, ein Hemd und einen schwarzen Pullover.
»Hunger?«, fragte Kate.
»Nicht besonders viel.«
»Hast du auf der Dienststelle gegessen?«
»Nein, aber ich habe keinen rechten Appetit.«
»Ärger?«
Tanner schaute seiner Frau zu, wie sie ihm das Essen servierte. Das Fleisch war geschnitten, es sah rosa aus, hatte die perfekte Farbe, und auch die Remoulade war selbst gemacht.
»Lass es dir schmecken.«
»Danke.«
Kate setzte sich ebenfalls. Sie hatte schon gegessen und trank ihren Tee. Dabei schaute sie ihren Mann an, der noch immer einen nachdenklichen und in sich gekehrten Eindruck machte. Kate kannte ihn lange genug. Er musste etwas erlebt haben, an dem er zu knabbern hatte. Das war bei ihm und seiner Routine schon selten. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ihn in der letzten Zeit so erlebt zu haben.
Er aß auch nicht alle Scheiben und schob den Teller zur Seite. »Es war gut, Kate, aber ich habe keinen Hunger mehr.«
»Darf ich den Grund wissen? Und sag nur nicht, dass du schon satt bist. Das glaube ich dir nicht.«
»Nun ja …«
»Bitte, sag etwas. Es ist besser, wenn du dir deinen Kummer von der Seele redest.«
»Ja, das mag sein.«
»Du weißt, dass ich den Mund halten kann. Irgendwelche Dienstgeheimnisse sind bei mir gut aufgehoben.«
»Das weiß ich schon.«
Kate ließ ihrem Mann Zeit, sich zu entscheiden. Sie kannte ihn. Irgendwann würde der Panzer brechen, das stand fest. Noch grübelte er, das sah sie an den Falten auf seiner Stirn. Schließlich hatte er sich entschlossen und nickte.
»Gut, Kate, es ist vielleicht besser, wenn ich mit einer Person darüber rede, die nicht unmittelbar von den Dingen betroffen ist. Was ich erlebt habe und mir Sorgen macht, ist natürlich eine dienstliche Angelegenheit, aber sie lässt mich nicht los, obwohl es sich um einen Fall handelt, der schon abgeschlossen ist.«
Kate nickte. Es war so etwas wie eine Aufforderung, der Tanner auch nachkam.
»Ich sage dir mal einen Namen, Kate. Erinnerst du dich an einen Killer namens Lex Larkin?«
Sie musste nachdenken. Dabei strich sie mit den Fingern durch ihr kurz geschnittenes graues Haar. Sie liebte diese moderne Frisur, denn sie machte sie jünger.
Sie murmelte den Namen vor sich hin, zuckte dann leicht zusammen und fragte: »War das nicht ein Mann, der junge Frauen vergewaltigt und getötet hat?«
»Das war er. Vier tote junge Frauen. Eine fünfte wollte er umbringen, aber wir haben sie retten können. Sie hieß Ellen Taylor.«
»Hieß?« Kate war so weit geschult, dass sie auf jede Kleinigkeit achtete.
»Ja, denn sie ist tot.«
»Ach.«
Mehr sagte sie nicht, und Tanner wartete einige Zeit ab, bis er ihr eine Erklärung gab. Er konnte sogar mit sehr leiser Stimme sprechen. »Wir haben Ellen Taylor heute aus einem Seitenarm der Themse gezogen. Sie hat sich selbst umgebracht.«
Kate schluckte. »Ein Selbstmord?«
»Ja, alle Spuren sprachen dafür.« Tanner senkte den Kopf. »Damit habe ich nicht gerechnet. Es hat mich getroffen wie ein Faustschlag in den Magen. Ich hab es immer noch nicht überwunden. Wir haben auch so etwas wie einen Abschiedsbrief bei ihr gefunden. Sie berichtete davon, dass sie das Erlebte nicht überwinden konnte. Es war ein Trauma für sie gewesen, allein mit dieser Bestie in dem Keller gefangen gewesen zu sein. Darüber ist sie nicht hinweggekommen, und so blieb als einziger Ausweg der Suizid.«
Die Tanners waren beide keine Maschinen, sondern Menschen mit Gefühlen. Kate konnte sich vorstellen, wie es in ihrem Mann aussah. Er, der harte Knochen – zumindest nach außen hin –, hatte einen regelrechten Schuss vor den Bug bekommen.
»Das ist natürlich tragisch«, sagte sie mit leiser Stimme, »aber du solltest dir keine Vorwürfe machen. Du hast sie schließlich gerettet. Was sich im Innern eines Menschen abspielt, dafür kannst du nichts. Das ist einzig und allein deren Problem.«
»Ich weiß.«
»Dann solltest du dir auch keine Gedanken mehr darüber machen.«
Er nickte. »Ja, das sollte ich wohl.« Dann öffnete er die Bierflasche und schenkte sich ein Glas ein. Er trank und fuhr mit seiner Antwort fort. »Aber das ist nicht so einfach, wie es aussieht«, sagte er. »Jeder Mensch ist anders. Ich spüre den Druck in meinem Innern, und ich habe den Eindruck, dass dieser Fall noch nicht vorbei ist.«
»Wie?« Kate staunte.
»So, wie ich
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