1706 - Kibb
sich jedoch weiter mit ihnen zu beschäftigen. Man gewöhnte sich an den Anblick dieser kleinen, recht zerbrechlichen Geschöpfe. Sie waren eben da, als zweites Intelligenzvolk des Arresums neben den Ayindi.
Erst viel später, irgendwann nachdem Leyza Dilibas Klasse übernommen hatte, wurde Moira mit den Barayen konfrontiert. Daraus ergab sich, daß sie sich näher mit ihnen zu beschäftigen hatte.
Es war zu Opan, jener Stunde, die der Abruse gewidmet war, daß Leyza wieder einmal die uralte Frage aufwarf, warum das Arresum so karg an Leben war, während das Parresum förmlich davon überquoll.
So abgedroschen das Thema den Novizinnen erschien, Leyza verstand es, ihm neue Aspekte abzugewinnen. Leyza war keine große Kämpferin und überließ Lenek und Pehan anderen Lehrerinnen, die mehr von Körperertüchtigung verstanden.
Dafür war sie eine Meisterin des Wortes. Sie war eine Philosophin, die es verstand, die alten Erkenntnisse neu aufzubereiten und interessant darzubieten.
„Es gibt verschiedene Ansichten darüber, warum unsere Seite des Universums so wenige Lebensformen zu bieten hat", dozierte Leyza.
„Eine besagt, daß die negative Strangeness daran schuld ist und daß diese nur eine begrenzte Anzahl von Lebensmustern zuläßt. Das ist wohl blanker Unsinn. Es heißt auch, daß das Arresum einst vom Parresum als im weiteren Sinne entartet abgetrennt wurde, zusammen mit allen störenden negativen Elementen. Das hieße, daß alles Minderwertige im Arresum seinen Platz gefunden hat, was die Entwicklung des Parresums gestört hätte. Auch das ist Quatsch. Wir haben weite Bereiche des Parresums kennengelernt, aber kaum eine Spezies getroffen, die so fortgeschritten und ethisch so hochstehend ist wie wir Ayindi."
Leyza machte eine kurze Pause, um ihre Worte auf die Novizinnen einwirken zu lassen.
„Letztlich gibt es sogar die Theorie, daß die Abruse die einzige Spezies ist, die das Arresum hervorgebracht hat", fuhr Leyza in dem Bewußtsein fort, daß diese Aussage völlig neu für ihre Schülerinnen war. „Die Abruse wäre demnach die Allmacht des Arresums. Aber woher kämen dann wir, die Ayindi? Und woher stammen die Barayen?
Darauf gibt es zwei Antworten. Die eine besagt, daß wir und die Barayen einst aus dem Parresum zugewandert sind. Die andere gibt uns als Ableger der Abruse aus, die sich selbständig gemacht haben. Beide Antworten sind unbefriedigend. Wenn wir aus dem Parresum stammen, wie war es uns möglich, uns an die negative Strangeness anzupassen?
Das könnte uns nur mittels eines in Vergessenheit geratenen Wundermittels gelungen sein. Wenn es ein solches Wundermittel gegeben hat, dann könnte man es vielleicht wiederentdecken und seine Wirkung umkehren, so daß es wieder möglich wäre, in unsere alte Heimat, das Parresum, zurückzukehren. Versteht ihr jetzt, warum diese Fabel viele Anhänger hat? Für manche von uns gibt es eben nur die Flucht vor der Realität als einzige Lebenshilfe. Das fällt in dieselbe Kategorie wie der Aberglaube, daß man nicht wirklich stirbt, sondern lediglich auf die andere Seite geht. Wir aber wollen von solchem Hokuspokus Abstand nehmen."
In diesem Moment zerstörte Leyza die schönen Träume mancher Novizin. Sie fuhr fort: „Nach neuesten Erkenntnissen muß es so gewesen sein, daß sich das Universum bald nach seiner Geburt in diese zwei Hälften geteilt hat. Arresum und Parresum haben sich erst danach in verschiedene Richtungen weiterentwickelt. Das war, bevor sich aus der Urmaterie höhere Strukturen gebildet hatten. Erst viel später wurde der Funke gezündet, der Leben entstehen ließ. Dies geschah jedoch nur im Parresum - aus irgendwelchen Gründen, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können. Im Arresum dage gen war dieser Funke viel schwächer, oder er wurde überhaupt nicht gezündet. Es kann daher ohne weiteres sein, daß das Leben im Arresum lediglich ein Abfallprodukt des Parresums ist. Aber es muß eine spärliche Lebenssaat in seiner ursprünglichsten Form gewesen sein, aus der sich Abruse, Ayindi und Barayen herausgebildet haben."
Leyza hielt erneut inne. Dann sprach sie weiter: „Um euch nicht zu sehr zu überfordern, will ich euch ein einfaches Denkmodell liefern. Stellt euch vor, ein Sämann sei durchs Parresum gereist und habe dort großzügig Leben gesät. Aber aus irgendwelchen Gründen ist dieser Lebenspender nie auf die andere Seite gelangt. Für das Arresum fielen bloß ein paar Körner ab, die zufällig auf diese Seite gelangt
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