1706 - Kibb
sind. Es war nicht genug, um für eine Vielfalt des Lebens zu sorgen, nicht genug, um für ein Gleichgewicht zu sorgen zwischen aggressiven Lebensformen wie der Abruse und progressiven wie uns, den Ayindi und den Barayen."
In diesem Augenblick erschien wie auf ein Stichwort ein Baraye.
Moira hatte zum erstenmal Gelegenheit, einen Vertreter dieses zweiten Intelligenzvolkes eingehend aus der Nähe zu betrachten. Er erschien ihr so schwach und zerbrechlich wie eine der immateriellen Projektionen der Abruse.
„Etwas kann aber auch an dieser Theorie nicht stimmen", sagte Leyza abschließend. „Denn das hieße, daß die Abruse und wir aus demselben Topf stammen müßten. Und das kann nicht sein, denn die Abruse ist der Feind des Lebens. Sie läßt es nicht zu und ist bestrebt, es zu zerstören. Ihr Ziel ist ein lebloses, kristallines Universum." Sie wies auf den kleinen, schmächtigen Barayen. „Dies ist Vogendon. Er wird euch einen Überblick über die Situation im Arresum geben."
„Gemessen an kosmischen Maßstäben, befinden wir uns in den letzten Minuten unseres Überlebenskampfes", sagte der Baraye mit überraschend voller Stimme. Aber er sprach das Aylos mit einem so weichen Akzent, daß er die Novizinnen zum Tuscheln animierte; sie stempelten die Barayen sofort als Schwächlinge ab. „Die Abruse hat uns eingekreist. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie Ayindi und Barayen voneinander isoliert hat ... Wenn wir nicht bald Mittel und Wege finden, ihren Eroberungsfeldzug zu stoppen. Dies ist die gegenwärtige Situation."
Vor den Augen der Novizinnen bildete sich eine dreidimensionale Grafik. Sie zeigte eine Blase, die über einen unregelmäßig dicken Schlauch mit einer anderen, kleineren Blase verbunden war. Die erste Blase stellte den Einflußbereich der Ayindi mit etwa fünf Millionen Lichtjahren Durchmesser dar, die zweite den der Barayen mit lediglich zwei Millionen Lichtjahren Durchmesser. Der Schlauch, der die beiden Enklaven miteinander verband, war rund 20 Millionen Licht jahre lang, aber ziemlich dünn. An einer Stelle wies dieser Verbindungs schlauch eine noch viel dünnere Einschnürung auf.
Das Bild wechselte und zeigte eine Vergrößerung dieser Einschnürung. Nun wurde dargestellt, daß alles, was außerhalb des Schlauches lag, kristallisiert war. Entseelt durch abrusische Kristallstrukturen. Unzählige Pünktchen rings um diese gefährdete Stelle innerhalb der Einschnürung markierten Raumschiffe, die sich von allen Seiten dem Vormarsch der abrusischen Kristalle entgegenwarfen.
Aber die Grafik zeigte deutlich, daß die Einschnürung immer enger wurde. Sie betrug nur noch 200.000 Lichtjahre.
„Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis die Abruse an dieser Stelle den Verbindungsschlauch geschlossen hat", erläuterte Vogendon mit seiner samtenen Stimme, die nicht in der Lage zu sein schien, irgendwelche Emotionen auszudrücken. „Wenn es einmal soweit ist, dann werden Ayindi und Barayen für immer voneinander getrennt sein und müssen jeder für sich den Kampf gegen die Abruse weiterführen. Das wäre gleichbedeutend mit dem Untergang unseres Volkes. Denn ohne die Unterstützung der Ayindi würden wir uns in unserer Enklave nicht lange halten können. Eine Trennung würde aber auch den Untergang der Ayindi beschleunigen. Darum ist es lebenswichtig, alles daranzusetzen, diese Lücke offenzuhalten. Das erfordert von den Ayindi große Opfer.
Aber wenn sie nicht bereit sind, diese Opfer zu bringen, ist der Sieg der Abruse nicht mehr aufzuhalten."
Moira wurde nun klar, daß Vogendon Politik machte. Sie verstand nur nicht, wieso er sich mit diesem Anliegen an Novizinnen wandte, anstatt an die Führungskräfte der Ayindi. Sie erfuhr es sogleich. Der Baraye sagte: „Die Ayindi sind mit ihrem eigenen Überlebenskampf vollauf beschäftigt. Zudem haben sie über die Passageplaneten eine zweite Front im Parresum aufgebaut. Man hat mir zu verstehen gegeben, daß man die militärischen Zuwendungen an die Barayen nicht mehr im bisherigen Ausmaß aufrechterhalten kann. Eine weitere Unterstützung für unser Volk könne nur noch auf freiwilliger Basis geschehen. Ich suche darum im Namen meines vom Untergang bedrohten Volkes nach Freiwilligen, welche die Barayen im Kampf gegen die Abruse unterstützen."
Vogendon verabschiedete sich mit einer Handbewegung von den Novizinnen und trat ab.
„Ich meine, dies ist die Stunde, in der die Ayindi zeigen können, daß für sie Freundschaft kein leerer Begriff ist",
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